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Zivilisationskritik von Joseph Weizenbaum an der FH Potsdam: „Wer Lachen kann, hat noch Hoffnung“

Es ist noch nicht alles verloren. Aber es ist kurz davor.

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Es ist noch nicht alles verloren. Aber es ist kurz davor. Wenn man dem tiefen Skeptizismus von Prof. Joseph Weizenbaum folgt, scheint offensichtlich, dass die Menschheit so nicht weitermachen kann. Das Dilemma sei aber, dass sie es auch nicht lassen kann, so weiterzumachen. Irgendwann stellt ein Zuhörer im hoffnungslos überfüllten FH-Hörsaal am Mittwochabend fest, dass er den Umkehrpunkt nicht mehr sehen könne.

„Ich auch nicht“, antwortet der 82-jährige Computer-Pionier, der sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem drastischen Fortschrittsskeptiker entwickelt hat. „Aber ich möchte mit ihnen darüber sprechen.“ Das macht ihn sympathisch. Mit Sätzen wie „Wir müssen auch die naiven Fragen stellen“ gewinnt er die Menschen für sich. Etwa naiv zu fragen, was passiert, wenn nun 40 Millionen Autos für China gebaut werden: Ein wirtschaftlicher Aufschwung für uns, der die Umwelt weiter in den Schwitzkasten nimmt.

„Wir wissen was wir falsch machen und doch machen wir jeden Tag weiter, als ob nichts gewesen wäre.“ Jeder müsse bei sich selbst anfangen, sich fragen, ob er etwa unbedingt jeden Tag alleine ein tonnenschweres Auto durch die Welt bewegen müsse. Weizenbaum ist kein verbohrter Mahner, nein er gibt selbst zu, dass ihn das „Irrenhaus in dem wir heute leben“ verwirrt hinterlässt. Doch letztlich ist auch er Optimist. Er sehe am verdüsterten Himmel noch etwas Licht. „Die Möglichkeit die Menschheit noch zu retten existiert, wenn ich daran nicht glauben würde, müsste ich mich und meine Enkel erschießen.“

Drastische Worte von einem Mann, der in den 60er Jahren selbst den technischen Fortschritt mit vorangetrieben hat, an Computersystemen gearbeitet hat, die heute schon niemand mehr wirklich im Griff hat. Systeme, die auch eingesetzt werden, um Menschen zu töten. Damals hat er für sich die Notbremse gezogen, wurde zum Mahner, den heute „grenzenlose Dummheit der Menschen“ in die Verzweiflung treibt.

„Wir sind in eine Falle geraten, gehen aber immer weiter, niemand warnt vor den Folgen.“ Die USA hätten nun ein Programm für Roboter-Soldaten gestartet. „Fällt es einem Roboter ein, dass der Soldat, den er erschießen soll, eine Mutter hat, die um ihn trauern wird“, fragt Weizenbaum. „Das ist es, was ich meine“, sagt er dann noch etwas leiser. Und scheint wieder an seine Enkelkinder zu denken. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie eines natürlichen Todes sterben, sei sehr gering. Weizenbaum gewinnt das Auditorium letztlich auch mit seiner schonungslosen Selbstironie.

Er hatte in den 80er Jahren gesagt, die Zivilisation überlebe kaum noch 20 Jahre. Am 1. Januar 2000 habe ihn sein Bruder angerufen und gesagt: „Siehste, da haste dich wieder mal geirrt.“ Weizenbaum habe ihm geantwortet: „Dann habe ich halt Pech gehabt.“

Wenn er das im schicken weißen Hemd mit grauem Pullunder, das Jackett locker über den Stuhl gehängt, und die etwas zu langen grauen Haare zum Pferdeschwanz gebunden mit seinem ironischem Unterton erzählt, wähnt man sich geradezu in einem Woody-Allen-Film. Alles lacht. Im nächsten Moment bleibt einem aber wieder das Lachen im Halse stecken.

Dann nämlich, wenn man merkt, dass es Weizenbaum ernst ist mit seiner Einschätzung, dass uns nur noch sehr wenig Zeit bleibt, die Dinge zu ändern. Er hört sich eben gerne Anekdoten erzählen, hat die Lacher auf seiner Seite, aber sein Witz ist dann doch eine Art Galgenhumor.

Man müsse kein Physiker sein, um festzustellen, dass eine einzige Atombombe den Tag verderben kann. Oder: Er wisse auch nicht, wieso er noch nicht Mitglied der päpstlichen Akademie ist: „Vielleicht haben die meine Telefonnummer nicht“. Oder: Es ist sehr wohl möglich, dass Manhattan in 50 Jahren unter Wasser steht: „Wäre doch schade, wenn all die schönen Restaurants und Kinos verschwinden.“

Ob er Visionen habe? Jemand mit Visionen sollte zum Arzt gehen. Weizenbaum macht aus der äußerst nachdenklichen Diskussion einen unterhaltsamen Abend. „That“s entertaining“, streut der in Deutschland lebende Amerikaner vergnügt nach einem Gag ein. Wer Lachen kann, der hat noch Hoffnung.

Seine Tochter habe ihn als Kind einmal nach der Uhrzeit gefragt. Er solle ihr aber bitte nicht erklären, wie die Uhr funktioniert. Weizenbaum holt eben gern weit aus. Doch wenn es darauf ankommt, kann er es auch auf den Punkt bringen. Gefragt nach der Alternative zu Diktatur und Demokratie sagt er knapp: Die Bergpredigt. Wenn wir ihre Gesetzmäßigkeiten verinnerlichen würden, wäre vieles besser. Vielleicht. Jan Kixmüller

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