Landeshauptstadt: „Werther-Effekt“ nach Todessturz?
Drei Suizid-Versuche in Potsdam am Mittwoch / Psychiatrie-Chefarzt: Nachahmung des Falls Beate J. möglich
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Innenstadt /Am Stern / Schlaatz – Nachdem sich am Montagmorgen die 36-jährige Beate J. mit ihrer dreijährigen Tochter Luisa von einem Hochhaus am Schlaatz in den Tod gestürzt hat, ist die Potsdamer Polizei am Mittwoch dreimal wegen Suizid-Versuchen alarmiert worden. Alle drei Potsdamer, die sich das Leben nehmen wollten, konnten ins Krankenhaus und in psychiatrische Behandlung gebracht werden.
Die Häufung der Fälle nach der Tragödie am Montag sei „auffällig“, sagte gestern Potsdams Polizeisprecherin Angelika Christen. Es könne sich dabei um Nachahmungseffekte des Suizids von Beate J. handeln, über den in den Medien ausführlich berichtet worden war, sagte Dr. Christian Kieser, Chefarzt der Psychiatrie des Klinikums „Ernst von Bergmann“, gestern den PNN. In der medizinischen Fachliteratur sei dies als „Werther-Effekt“ bekannt, zurückgehend auf das Werk Goethes „Die Leiden des jungen Werther“, in dem der Protagonist aufgrund einer unglücklichen Liebe den Freitod wählt. Nach Erscheinen des Romans 1774 habe es viele Nachahmer gegeben, erklärte Dr. Kieser. Ähnliches sei aus psychiatrischen Kliniken bekannt. Habe dort ein Patient Suizid begehen können, befinde man sich in einer „Hochrisikophase“. Für den Potsdamer Fall könne die umfangreiche Medienberichterstattung eine Rolle spielen und Nachahmungstaten auslösen, sagte der Chefarzt. Je reißerischer, skandalisierender und „intimer“ über einen Suizid berichtet würde, desto stärker werde die Gefühlsebene eben auch Betroffener angesprochen. Eine „sachliche Darstellung“ eines Selbstmords sei „nicht so bedenklich“.
Für viel Aufsehen sorgte am Mittwochnachmittag der Suizid-Versuch eines 33-jährigen Potsdamers in der Innenstadt. Er führte zu einem umfangreichen Polizeieinsatz, denn der Mann, der in einer Wohngemeinschaft für Alkoholiker in der Gutenbergstraße 100 lebt, hatte sich kurz vor 16 Uhr in seinem Zimmer in der vierten Etage eingeschlossen und war vom Fenster aus aufs Dach geklettert. Feuerwehrleute breiteten vor dem Haus ein Sprungkissen aus, die Straße wurde abgesperrt. Angeforderte Spezialkräfte des Landeskriminalamtes, die auch bei Geiselnahmen zum Einsatz kommen, konnten den 33-Jährigen schließlich gegen 18.30 Uhr überwältigen, so die Polizei. Augenzeugen berichteten, dies sei im letzten Moment passiert – der Mann habe gerade hinunterspringen wollen. Er wurde in eine psychiatrische Einrichtung gebracht.
Bereits am Mittwochvormittag gegen 10 Uhr wurde die Polizei zum Baggersee am Stern gerufen. Dort sollte sich ein 59-jähriger Mann aus Drewitz befinden, der in einem Anruf bei der Rettungsstelle angekündigt hatte, er habe Alkohol getrunken und Tabletten geschluckt und werde Selbstmord begehen. Die Rettungsstelle rief die Polizei zur Hilfe. Mit dem Polizeihubschrauber, der sich in der Nähe befunden habe, wurde nach dem Mann gesucht. Gegen 12 Uhr habe der Hubschrauberpilot ihn erblickt, so die Polizei. Er wurde weitgehend unversehrt ins Krankenhaus gebracht.
In der Nacht zum Donnerstag gegen 1.30 Uhr wurde die Polizei außerdem ins Wohngebiet am Schlaatz gerufen. Freunde einer 24-Jährigen hatten die Beamten informiert, weil sie fürchteten, die junge Frau würde Selbstmord begehen. Zehn Minuten nach dem Anruf hätten Polizeibeamte die alkoholisierte 24-Jährige lebend, aber in „eindeutiger Situation“ in ihrer Wohnung gefunden. Sie habe versucht, sich mit einem Messer das Leben zu nehmen. Die Frau wurde in psychiatrische Behandlung gebracht.
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