Landeshauptstadt: Wettermessungen im Kriegsgebiet
Das Stadtmarketing lässt Video-Porträts neun bedeutender Potsdamer Wissenschaftler produzieren
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Dass Potsdam eine Wissenschaftsstadt ist, gilt als hinlänglich bekannt. Weniger bekannt sind hingegen viele der Forscher, welche diesen Ruf mitbegründet haben: Wer weiß schon, dass der Alchemist Johann Kunckel 1685 die Pfaueninsel für seine Glasexperimente geschenkt bekam, der Chemiker Max Volmer mit Albert Einstein und Lise Meitner in seinem Haus in Babelsberg Kaffee trank oder Jacob Paul von Gundling gleichzeitig ein bedeutender Historiker und Hofnarr des Soldatenkönigs war?
Anlässlich des Potsdamer Jahresmottos „Wissenschaft für die Zukunft“ hat das Stadtmarketing die Produktion neun kurzer Video-Porträts bedeutender Wissenschaftler in Auftrag gegeben, die längere Zeit in Potsdam gewirkt oder gelebt haben: Die Liste reicht von Hermann von Helmholtz bis hin zu Albert Einstein. Sechs der Videos kann man sich bereits im Internet anschauen, am heutigen Montag ist der Beitrag zu dem Meteorologen Reinhard Joachim Süring erschienen.
„Wir haben versucht, möglichst verschiedene Wissenschaftszweige zu berücksichtigen“, sagt der Potsdamer Historiker Johannes Leicht, der an den Videos mitgearbeitet hat. „Wir wollten dabei nicht nur Astrophysiker vorstellen, obwohl es von denen in Potsdam einige bedeutende gab.“ Neben der wissenschaftlichen Leistung liegt der Fokus der Porträts auf dem Potsdam-Bezug der Wissenschaftler. Süring etwa sorgte unter Einsatz seines Lebens dafür, dass die sogenannte säkulare Klima-Beobachtungsreihe auf dem Telegrafenberg, die 1893 gestartet wurde, heute ohne Unterbrechungen vorliegt: Im April 1945, als die Kriegswirren Potsdam erreicht hatten und die Wetterstation verwaist war, führte der 79-Jährige die Messungen auf eigene Faust fort und hielt so die Vollständigkeit der Reihe aufrecht. „Das ist eine Datensammlung, die es so nur einmal in der Welt gibt“, sagt Leicht.
Produziert wurden die Porträts von der Potsdamer Journalistin Kristina Tschesch. „Wir haben die Filme so gemacht, dass sie möglichst viele Altersschichten ansprechen“, sagt die Filmemacherin. Die sechs- bis zehnminütigen Porträts stellen die Wissenschaftler anhand von Experten-Interviews, historischen Dokumenten, Fotos, Videoaufnahmen aus Potsdamer Wohn- und Arbeitsstätten sowie sehr liebevoll gestalteten Animationen vor: Im Beitrag zu Karl Foerster etwa sprießen in Form einer Collage bunte Blumen rund um ein Foto des Gartenphilosophen und Staudenzüchters. Mit ihrer Mischung aus Fakten und Anekdoten eignen sich die Videos für den Schulunterricht.
Besonders die zwei ältesten Forscher Jacob Paul von Gundling (geboren 1673) und Johannes Kunckel (geboren 1630) könnten durch die Kurzfilme dem Vergessen entrissen werden. Gundling etwa musste für allerlei derbe Späße Friedrichs I. herhalten, einmal wurde er mit zwei jungen Bären in sein Schlafzimmer eingeschlossen, die durch eine hereingeworfene Fackel in Panik versetzt wurden – zugleich war er Präsident der königlichen Societät der Wissenschaften. Der Alchimist Kunckel hingegen kann laut Susanne Evers von der Schlösserstiftung als Pionier der Chemie gelten: „Sein Verdienst war, dass er die alchemistischen Versuche, die in dieser Zeit üblich waren, hin zu einer wissenschaftlichen Methode weiterperfektioniert hat.“
Die Filme sind jeweils an einem Tag gedreht wurden, das Schneiden und die Animationen dauerten jeweils etwa drei Tage. „Aber das Aufwendigste war die Recherche“, sagt Tschesch. Je nach Wissenschaftler mussten unterschiedlichste Quellen für Fotos, Dokumente oder Landkarten angezapft werden: Für Helmholtz stöberten die Macher in den Archiven der Universität Heidelberg und der Berliner Charité, Gemälde von Gundling stellte die Schlösserstiftung zur Verfügung, Fotos aus Foersters Nachlass wurden eigenhändig abfotografiert. Manchmal gehörte einfach Glück dazu, wie Historiker Leicht erzählt – etwa im Fall von Reinhard Süring: „Wir waren gerade bei den Dreharbeiten auf dem Telegrafenberg, als die Enkelin Sürings zu uns kam und ein Telegramm ihres Großvaters aus der Tasche zog, das er nach seiner berühmten Rekord-Ballonfahrt an seine Familie in Potsdam geschickt hatte.“
Die restlichen drei Porträts von Schwarzschild, Humboldt und Einstein sollen bis Jahresende im Monatsabstand folgen. Anfang 2014 sollen sie auch in einer Wissenschaftsausstellung im neuen Bildungsforum gezeigt werden.
Im Internet sind die Videos unter der Adresse www.youtube.com/wissenschaftpotsdam abrufbar.
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