Landeshauptstadt: Wider das alte Rein-raus-Spiel
Seit 20 Jahren ist Matthias Rump Bewährungshelfer. Oft hat er es mit dem „Drehtüreffekt“ zu tun
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Das Büro von Matthias Rump liegt ziemlich genau auf einer imaginären Sichtachse zwischen Straßenbahnhaltestelle und Arbeitsamt. Man muss ein bisschen suchen, aber wenn man Glück hat, bekommt man eine nette Eskorte freundlicher Polizisten, die von ihrem Hauptquartier auf dem Weg zur Kantine sind. Im Gebäude schräg gegenüber sind die sozialen Dienste der Justiz angesiedelt. Dort empfängt Rump, einer von elf Bewährungshelfern, die in Potsdam arbeiten, seine Klienten.
„Das ist immer eine Zwangsbeziehung“, sagt er, hinter ihm ein großes schwarz-weißes Poster der Brit-Punker „The Clash“ an der Wand, davor die vollen, offenen Schubladen mit den Akten. Knapp über 70 Personen betreut er, kennt deren Lebensläufe und ihre Schicksale. Manche dieser Zwangsbeziehungen dauern ein Jahr, manche schon eine Ewigkeit. Drehtüreffekt nennt das Rump, „rein – raus – rein“. In den Knast. Wer bei ihm im Büro sitzt, hat es erstmal geschafft. Hier liegt die Chance auf einen Neubeginn, dass sie gelingt, ist auch die Aufgabe des Bewährungshelfers.
Wenn eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt ist, kann der Richter per Auflage anordnen, dass der Verurteilte einem Bewährungshelfer unterstellt wird. Wurde Jugendstrafrecht angewandt, passiert das automatisch. Die Zielvereinbarung lautet in jedem Fall: Vermeidung von neuen Straftaten. „Im Grunde geht es um die Frage, was sich im Leben des Menschen verändern muss“, fasst er zusammen. Das kann bedeuten: Eine Wohnung suchen, einen Job, Ausbildung oder Schule beenden. Es kann aber auch sein, ein Alkohol- oder Drogenproblem in den Griff zu bekommen oder an einer Verhaltensstörung zu arbeiten. „Dessen muss sich derjenige aber erst mal bewusst sein“, sagt Rump.
Für manche ist er der erste Ansprechpartner zurück in der Freiheit. Dass jemand mit Plastiktüte und nicht viel mehr entlassen wird, komme durchaus vor. Man kann zwar während der Haftzeit einiges vorbereiten, aber eine Wohnung anmieten – das geht nicht. Wer vermietet schon eine Wohnung an einen Ex-Knacki, der weder Einkommen noch Mietschuldenfreiheit nachweisen kann? Das sei in Potsdam „äußerst schwierig“, findet der Bewährungshelfer. Wer nirgendwo unterkommt, für den besorgt Rump eine temporäre Bleibe, vielleicht in einer Einrichtung eines freien Trägers, notfalls im Obdachlosenheim. Es gibt immerhin einen Rechtsanspruch auf Resozialisierung. „Aber wir sind auch nur Bittsteller bei Behörden, wir vermitteln weiter an Beratungsstellen, Suchthilfe oder Schuldnerberatung, wenn wir Bedarf sehen.“
In regelmäßigen Treffen, deren Rhythmus der Helfer bestimmt, muss er außerdem ein Bewusstsein für das Rückfallrisiko des Klienten entwickeln, erkennen, ob es gut läuft oder eben nicht. Vor allem muss der Klient selbst lernen, sich und sein Verhalten einzuschätzen. „Er muss die Warnlampe blinken sehen, wenn etwas schief läuft, und für solchen Fälle eine Strategie parat haben.“ Wenn ein Teenager jahrelang nach der Maxime gelebt hat, „sich die Dinge im Laden einfach zu nehmen“, dann dauert es, bis sich das Verhaltensmuster ändert. Und wer sofort ausrastet, wenn er scharf angeguckt wird oder austickt, weil in der Disco jemand seine Freundin anspricht, „dann rate ich schon dringend zu einer Therapie“.
Ohne Vertrauensbasis passiert zwischen Rump und dem Klienten folglich nicht viel. Zuviel ist aber auch nicht gut. Sie müssen wissen, dass er im Gericht alles zu sagen verpflichtet ist. Das kann durchaus von Vorteil sein: Wer betrunken auf dem Rad erwischt wird, dem drohe natürlich nicht sofort Strafvollzug. Bestätigt der Bewährungshelfer eine postitive Prognose, ist eine erneute Chance gut möglich. Besteht Gefahr für Dritte, besonders bei Gewalt- und Sexualstraftätern, muss Rump das allerdings unverzüglich dem Gericht melden.
Was macht man, wenn man nichts machen kann? Wenn der volljährige Jugendliche sich von seiner Mutter, bei der er wohnt, nichts mehr sagen lässt, tagsüber pennt und nachts dort wilde Partys feiert, das Arbeitsamt ihm aber keine eigene Wohnung finanziert? Jugendliche Straftäter sind eine Herausforderung, verlangen eine intensivere Betreuung. „Ich hab schon bei manchem früh um sechs neben dem Bett gestanden und ihn rausgeholt, damit er zur Schule geht – die eingeschüchterte Mutter hätte sich das nie getraut“, so seine Bilanz. Aber dann macht er einen Hausbesuch „bei so einem Kerl, ein Schrank, von oben bis unten tätowiert“, und ist beeindruckt: Die Wohnung penibel aufgeräumt und blitzeblank, bis zum Deckchen auf dem Fernseher.“ Seine „Fälle“ spiegeln die gesamte Deliktpalette wider, und manches belastet auch ihn. „Wir sind alle Einzelkämpfer.“ Dann suchen die Kollegen das Gespräch miteinander, Teamsitzungen und Fallbesprechungen helfen.
Seit über 20 Jahren macht Matthias Rump den Job, auf eine Elektrikerlehre folgte noch zu DDR-Teiten eine Ausbildung zum Heimerzieher, dann ein Studium zum Diplomsozialpädagogen. Für seinen obersten Dienstherrn, Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke), findet er lobende Worte. In Brandenburg werde an einer gesetzlichen Grundlage für die Resozialisierung gearbeitet, das sei sehr begrüßenswert.
Das Landesstrafvollzugsgesetz, wie es laut Ministeriumssprecher vermutlich heißen wird, soll nicht nur die Resozialisierung als Ziel, sondern zugleich die Methoden festlegen. „Davon erhoffe ich mir eine stärkere verpflichtende Einbindung und Vernetzung von Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden“, sagt Rump. Eine Arbeitserleichterung, von der letztlich die Klienten profitieren.
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