Landeshauptstadt: Wie Deutschland gegen Gibraltar gewann
Lutz Seiler, Gewinner des Deutschen Buchpreises, lobte die Kreativität beim Schreibwettbewerb des Humboldt-Gymnasiums
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Lampedusa-Flüchtlinge, Geisterhüte, NSA-Überwachung und teleportierte Fußbälle – groß war die Vielfalt der Themen und Texte, die der zweite Schreibwettbewerb des Humboldt-Gymnasiums hervorgebracht hat. 29 Schülerinnen und Schüler der fünften bis zehnten Klasse hatten Prosatexte und Gedichte zum Thema „Wunder“ eingereicht. Die besten der maximal fünf Seiten langen Beiträge wurden am Dienstag prämiert.
Als Schirmherrn und Jury-Mitglied hatte die Schule den in Wilhelmshorst lebenden Schriftsteller Lutz Seiler gewinnen können, der 2014 für seinen DDR-Roman „Kruso“ den Deutschen Buchpreis erhalten hatte. „Schirmherr – das ist ein seltsames Wort“, so Seiler. „Schutz scheint mir nämlich gar nicht nötig zu sein bei so einem starken Literaturprojekt wie diesem.“
Starke Beiträge gab es in der Tat viele, etwa das Gedicht „Der Regenbogen“, das einen Sonderpreis der Jury erhielt und von Seiler selbst vorgetragen wurde: Mit erstaunlich großem Vokabular beschreibt der Fünftklässler Laurin Steffins darin die Entstehung eines Regenbogens, der „wie ein Tor am Himmel steht“. Beliebt unter den Teilnehmern waren vor allem fantastische Themen: So handelt „Der Hut eines Geistes“ von einem sprechenden Hut, den die Protagonistin am Straßenrand findet. Dafür wurde die Autorin Leonie Grote mit dem ersten Platz in der Altersgruppe III für die Klassen neun bis zehn geehrt. Sieger der Altersgruppe II wurde die Siebtklässlerin Christine Menck, die in „Braune Augen“ von einem zugelaufenen Hund erzählt, der eine Schülerin vor einem Busunfall warnt.
Der Schreibwettbewerb sei eine wunderbare Möglichkeit für Jugendliche, literarische Methoden an eigenen Texten zu erlernen, so Seiler: „Da ist die Motivation viel größer, als wenn man sich dies an einem fremden Text erarbeiten muss.“ Der Schriftsteller erinnerte sich im Vergleich dazu an seine eigene Schulzeit, in der es eine solche literarische Förderung für Schüler nicht gab. Stattdessen hatte er unter großen Anstrengungen die Fontane-Ballade „John Maynard“ auswendig lernen müssen: „Unser Deutschlehrer Herr Erdenbrecher war hier unerbittlich: Wer es nicht schaffte, das Gedicht komplett vorzutragen, bekam jedes Mal zwei Fünfen – eine für Textsicherheit, eine für Ausdruck.“ Ein Mitschüler stand dadurch am Ende in Deutsch glatt fünf und wurde nicht versetzt.
So sieht der Deutschunterricht am Humboldt-Gymnasium zum Glück nicht aus. Die prämierten Texte lassen jedenfalls eine große Liebe zur Literatur erkennen: In „Bacary oder 1466 Euro?“ greift die Neuntklässlerin Vera Jordan den NSA-Überwachungsskandal ironisch auf, indem sie von einem gelangweilten Spion erzählt, der das Gesimse zweier Studentinnen mitliest. Dafür erhielt sie den zweiten Platz in der Altersgruppe III.
Die Science-Fiction-Story „Das Wunder von Berlin“ hingegen berichtet von der Fußball-Weltmeisterschaft 2058, die – mal wieder – in Deutschland stattfindet: Im Endspiel in Berlin steht es nicht zum Besten, denn der haushohe Favorit Gibraltar führt mit 2:1 gegen Deutschland. Zufälligerweise bastelt jedoch unweit vom Olympiastadion gerade ein Erfinder an einem Teleporter, der versehentlich den Ball ins gegnerische Tor bugsiert. Der Text des Fünftklässlers Jeremias Gestrich landete auf dem dritten Platz in der Altersgruppe I.
Am meisten beeindruckt zeigte sich Seiler von dem Beitrag des Siebtklässlers Simon Trockels, der einen Sonderpreis erhielt: „Es gibt sie wirklich“ erzählt eine erstaunlich ernste und realistische Geschichte über ein libysches Flüchtlingskind, das in Tagebuchform von seiner gefährlichen Fahrt über das Mittelmeer nach Italien berichtet. „Aus einem naiven Blickwinkel werden die Schrecknisse einer solchen Flucht gezeigt, die noch nicht ganz durchschaut werden können“, lobt Seiler. „Als Leser kann man aber das Geschehen im Kopf ergänzen – eine sehr geschickte Erzählstrategie.“
Jury-Mitglied und Literaturladen-Inhaber Carsten Wist war begeistert von der Qualität vieler Texte: „Die Themen der Beiträge waren ziemlich beeindruckend“, sagte Wist in seiner Laudatio für die Fantasy-Geschichte „Die Wunder des alten Hauses“, für die die Sechstklässlerin Louise May den ersten Preis der Altersgruppe I erhielt. Wist erinnerte sich daran, wie er selbst vor 39 Jahren im Humboldt-Gymnasium gesessen und Aufsätze geschrieben hatte: „Unser Deutschlehrer hieß Beißer, aber es ist ihm zum Glück nicht gelungen, mich von der Literatur ‚wegzubeißen’.“ Seine schriftstellerischen Ambitionen beschränkten sich damals jedoch darauf, Nachfolger des legendären Sportkommentators Heinz Florian Oertel werden zu wollen. Den jungen Literaten gab er vor allem einen Tipp mit auf den Weg: „Die Faszination zum Schreiben kommt meist über das Lesen, also lest viel!“
Ein Rat, dem sich Lutz Seiler nur anschließen konnte: „So viele gute Sachen wie möglich lesen und dabei schauen, wie die Autoren das gemacht haben.“ Außerdem empfahl er, „den eigenen Stoffen zu vertrauen und sich erst mal keinen großen Kopf machen, ob das jetzt schon gut genug ist, oder nicht“.
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