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„Potsdam in Europa“: Vielschichtigkeit könnte bei der Bewerbung als Kulturhauptstadt zum Trumpf werden
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„Potsdam in Europa“: Vielschichtigkeit könnte bei der Bewerbung als Kulturhauptstadt zum Trumpf werden Von Erhart Hohenstein In einem dreibändigen Werk hat Prof. Etienne Francois, TU Berlin, deutsche „Erinnerungsorte“ dargestellt – Potsdam ist nicht dabei. Das bedauerte der Leiter des Zentrums für Frankreichforschung während der Abschlussdiskussion der Reihe „Potsdam in Europa“, in der es um eben diese Rolle der Stadt als europäischer Erinnerungsort ging. An die 500 Vorschläge seien eingereicht worden, da habe man eine Auswahl treffen müssen. Genannt würden aber mit Potsdam verbundene Persönlichkeiten wie König Friedrich II. oder die Brüder Humboldt. Ist Potsdam den Europäern also gar nicht so wichtig, wie es sich aus unserer Innensicht darstellt? Die Franzosen haben den Begriff „Erinnerungsort“ für Städte (aber auch Personen, Begriffe) geprägt, die über ihre materielle Existenz hinaus einen symbolische Bedeutung haben und auch bei denjenigen Assoziationen auslösen, die nie dort waren. Für unsere westlichen Nachbarn heißt diese Assoziation „Sanssouci“, wo Voltaire in der Tafelrunde Friedrichs II. saß, der seine Sprache sprach. Das „Versailles des Nordens“ als Kopie französischer Kunst, Architektur und Lebensart. Was danach kam, davon nehmen die Franzosen kaum Kenntnis. Die meisten Angelsachsen sehen laut Prof. Gesine Schwan, Präsidentin der Europa-Universität Viadrina, Potsdam nach wie vor klischeehaft als Hort des preußischen Militarismus, der ein Vorbereiter des Nationalsozialismus gewesen sei. Diese Stimmungen nehmen leider auch in Polen wieder zu, bedauerte Hanna Nogossek, Leiterin des Deutschen Kulturforums östliches Europa. Dazu trage nicht zuletzt die Diskussion um ein Vertriebenenzentrum bei. Als Kunststadt spiele Potsdam im Bewusstsein der Polen kaum eine Rolle. Der Europaabgeordnete Norbert Glante hat bei seinen Kollegen in Brüssel keine negativen Assoziationen gegenüber Potsdam entdeckt. Der Name stehe dort für Sanssouci und für das Potsdamer Abkommen. In allen Erfahrungsberichten wurde deutlich, dass für die Stadtbewohner wichtige Themen wie der Tag von Potsdam in der Garnisonkirche, der im Hitler-Attentat des 20. Juli 1944 gipfelnde Offizierswiderstand, die Arbeiterbewegung in Nowawes, oppositionelle Strömungen in der DDR, die Rolle als Grenzstadt, ja selbst das Toleranzedikt von 1685 im Ausland so gut wie nicht wahrgenommen werden. Für die Reiseveranstalter verkauften sich „am besten Klischees, die dann vor Ort erfüllt werden“, erklärte Prof. Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Dies sei aber auch ein Ansatzpunkt für die Vermittlung darüber hinaus gehender Kenntnisse und Erlebnisse. Man führe die Touristen nach Sanssouci, um ihnen im Anschluss andere, unbekannte Gesichter Potsdams zu zeigen. Viele Besucher seien von der Vielschichtigkeit der Stadt überrascht. Hier hakte Diskussionsleiter Prof. Konrad H. Jarausch vom veranstaltenden Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) ein. In die Potsdamer Erinnerungskultur müsse die Widersprüchlichkeit des Ortes, müssten die Brüche und die dunklen Seiten in seiner historischen Entwicklung aufgenommen werden. Er forderte sogar, die Entwicklung der Zivilgesellschaft und ihrer Kämpfe um Freiheit und Demokratie deutlich zu machen. Dafür aber ist, worauf Gesine Schwan hinwies, die durch die Herrschaftskultur der Hohenzollern geprägte Stadt wahrlich kein Erinnerungsort. Dennoch: Gerade die vielschichtige und widersprüchliche Entwicklung mit ihren Brüchen zeichne Potsdam aus und sei im Bemühen, 2010 Kulturhauptstadt Europas zu werden, gegenüber anderen Bewerberstädten mit eher gleichmäßig ablaufender Historie ein nicht zu unterschätzender Vorzug. Er sollte als Trumpf ausgereizt werden, empfahl Norbert Glante aus Brüsseler Sicht. Vor Beginn der Diskussion hatte Brigitte Faber-Schmidt, Geschäftsführerin von „Kulturland Brandenburg“, die ZZF-Reihe „Potsdam in Europa“, für deren sieben gut besuchte Veranstaltungen prominente Historiker aus dem In- und Ausland gewonnen wurden, als wertvollen Beitrag im Themenjahr „Europa ist hier“ gewürdigt. Im neuen Jahr stehen „Landschaft und Gärten“ im Mittelpunkt der Kulturland-Reihe.
Erhart Hohenstein
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