zum Hauptinhalt

Homepage: „Wie paralysierte Karnickel“

Der Potsdamer Historiker Prof. Julius H. Schoeps über die Restitution von Raubkunst, unanständige Fristen und gelähmte Museen

Stand:

In den vergangenen Monaten war viel vom Ausverkauf der deutschen Museen die Rede, nach der Restitution des Kirchner-Gemäldes, der späteren Versteigerung und einer heftigen öffentlichen Debatte. Eine Konferenz des Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ) in Potsdam beschäftigte sich nun mit „Raubkunst und Restitution“. Die PNN sprachen mit MMZ-Direktor Prof. Julius H. Schoeps.

Herr Professor Schoeps, kommt das Thema nicht reichlich spät, 60 Jahre nach Ende des NS-Regimes?

Das hängt mit der Washingtoner Erklärung von 1998 zusammen, die von 44 Staaten unterzeichnet worden ist, unter anderem von der Bundesregierung. Sie geht davon aus, dass Kunstwerke, die zwischen 1933 und 1945 unter Druck enteignet worden sind, zurückgegeben werden müssen bzw. sollen.

Eher eine moralische und politische Verpflichtung, weniger eine rechtliche?

Im Grunde ist der Sachverhalt völlig klar. Hier geht“s zum einen um Eigentumsverhältnisse, zum anderen gibt es ein nationales und kulturelles Interesse. Und hier entsteht der Konflikt. Das eigentliche Problem scheint mir zu sein, dass in der Bundesrepublik keine Provenienzforschung, also nach der Herkunft, betrieben worden ist. Wenn dazu noch die Forderung nach einer Antragsfrist für Restitutionsansprüche kommt, halte ich das schlicht und einfach für unanständig! Zuerst ist Provenienzforschung nötig, dann kann man sagen, was man tun sollte. Viele der Erben wissen doch gar nicht, dass ein bestimmtes Bild im Besitz eines Museums ist. Und was passiert denn in den Fällen, wo gar keine Erben mehr vorhanden sind, weil sie von den Nazis umgebracht worden sind? Es kann ja wohl nicht sein, dass die Kunstwerke dann einfach vereinnahmt werden.

Würden Sie eine Fristenlösung auch in Zukunft ausschließen?

Nein, ich halte das durchaus für eine Möglichkeit. Aber erst muss die Provenienzforschung greifen. Man muss doch erst mal schauen, was man nun eigentlich in den Museen und ihren Depots hat. Vieles kann ja auf diese Art geklärt werden und dann kann man so eine Fristenlösung formulieren. Das halte ich für machbar, aber nicht umgekehrt.

Ist das nur ein deutsches Problem?

Nein, selbst in Israel finden sich in den Depots der Museen „problembehaftete“ Bilder, wo etwa die Provenienzen unklar sind, auch in Amerika, England, Frankreich, überall.

Wie kann eine „faire und gerechte Lösung“ – nach der Washingtoner Erklärung – aussehen?

Nun, es muss eine finanzielle Lösung gefunden werden, meist sind es ja nicht einzelne Erben, sondern Erbengemeinschaften. Ich schlage schon seit langem vor, dass die Museen Fonds zur Verfügung bekommen, auf die sie Zugriff haben oder sogar eigene Fonds, damit sie verhandeln können. Ich bin sicher, dass auf diese Weise das eine oder andere Problem erledigt werden kann. Im Moment sieht es doch so aus, dass die Museumsdirektoren wie paralysierte Karnickel dasitzen, weil sie nicht wissen, was sie tun sollen.

Das Münchener Lehnbachhaus hat 2003 ein Bild des Malers Max Slevogt an die jüdischen Erben zurückgegeben mit der Option eines sofortigen Rückkaufs zu einem angemessenen Preis. Wäre das ein Modell auch für andere Restitutionsfälle?

Ja natürlich, man kann alles machen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass zwischen Erben und Museen eine solche Formel gefunden wird, warum nicht? Aber es setzt natürlich voraus, dass ein Museumsdirektor für entsprechende Angebote auch Geld in die Hand nehmen kann.

Wie ist das in Ihrem persönlichen Fall, Sie sind Sprecher einer Erbengemeinschaft, die im vergangenen Jahr die Versteigerung eines Picassos, der Ihrem Großonkel Paul von Mendelssohn-Bartholdy gehörte, gerade noch verhindern konnte. Wissen Sie, wie groß die Sammlung war?

Unvorstellbar! Picassos ohne Ende, Van Goghs... Aber ich bitte um Verständnis, dass ich mich zum laufenden Verfahren nicht äußern kann. Es ist aber geradezu absurd, dass die Erben, die Restitutionsansprüche erheben, auch noch dafür verantwortlich gemacht werden, dass ihre Vorfahren guten Geschmack hatten.

Welche Konsequenzen sehen Sie für die Forschung?

Zunächst einmal glaube ich, dass in Zukunft sehr viel Augenmerk auf Provenienzforschung gelegt werden muss. Museen dürfen nicht einfach Bilder ersteigern oder sich schenken lassen und dabei nicht wissen, was sie kaufen, ersteigern oder was ihnen geschenkt wird. Und die Sache wird in Zukunft noch sehr viel komplizierter werden. Die Museen, die etwa Schätze aus Griechenland und Ägypten besitzen, dürfen das doch nicht einfach als ihr Eigentum ansehen! Hier muss man völlig neue Formeln finden. Ich plädiere dafür, dass man mit den betroffenen Ländern Absprachen trifft und die Artefakte als „Dauerleihgabe“ formuliert, dabei das Eigentumsrecht aber bei den Herkunftsländern belässt – wenn wir schon von nationalem Kulturgut reden.

Das betrifft viele Länder

Aber ja, natürlich, deswegen haben ja auch alle so große Probleme mit diesen Fragen. Aber schauen Sie sich doch mal diese merkwürdige Doppelbödigkeit in Deutschland an: Bei der Beutekunst fordert man die Rückgabe aus Moskau, aber in der Raubkunst sagt man, warum? Ich glaube, die Dinge sind nie richtig ausdiskutiert worden.

Ihr Plädoyer zum Thema Beutekunst?

Man muss verhandeln! Die Sachen sind nicht einfach, aber ich bin sehr skeptisch, ob es überhaupt ein „nationales kulturelles Erbe“ gibt. Ich argumentiere immer so: Der Kirchner im Brücke-Museum wurde von vielleicht 500 Leuten in der Woche gesehen, jetzt im Lauder-Museum in der New Yorker Fifth Avenue von vielleicht 10 000 in der Woche. Ist das also nicht eher ein Weltkulturerbe? Das sind alles Dinge, über die man reden muss.

Das Gespräch führte Carsten Dippel

Julius H. Schoeps ist Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien und Professor für Neuere Geschichte

an der Universität Potsdam.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })