Landeshauptstadt: Wieder Mitte
200 Jahre war Knobelsdorffs Stadtschloss das Herz Potsdams – bis Krieg und Sozialismus es aus dem Stadtbild tilgten. Nun, 24 Jahre nach dem Mauerfall, ist es neu erstanden
Stand:
DER GEIST DES ORTES
Jetzt steht es da, in all seiner äußerlichen Pracht. Wieder. Endlich. Selbst Laien erschließt sich allein durch den puren Anblick des Stadtschlosses, wie sehr es gefehlt hat in Potsdams Mitte. Welch städtebauliche Wunde jahrzehntelang im Herzen der Stadt klaffte, kann man erst jetzt vollständig ermessen. Jetzt, da das Schloss wieder die Stadtstruktur vorgibt und zeigt, was alles schiefgelaufen ist bei der sozialistischen Stadtplanung.
Wenn am heutigen Donnerstag Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) offiziell den Schlüssel zu Brandenburgs neuem Landtag im Gewand des friderizianischen Barockschlosses erhält, ist das mehr als nur ein rein symbolischer Akt. Das Parlament der Mark wird ab Januar in der Mitte Potsdams tagen: Dank eines demokratischen Beschlusses seiner Volksvertreter hat das Parlament sich nicht einfach nur ein neues Domizil geschaffen, sondern die städtebaulichen Weichen für das Potsdam der Zukunft gestellt. Denn mit dem Schloss als neuer alter Mittelpunkt der Potsdamer Mitte wird der Weg frei für die Rückkehr zu urbanem Bauen, zu einer lebendigen Innenstadt, die sich an den alten, historisch gewachsenen Strukturen orientiert. In ein paar Jahren, wenn die Fachhochschule abgerissen ist, werden an gleicher Stelle neue Quartiere entstehen. Wohnhäuser mit Geschäften und Cafés, das alles in einem Maß, wie es zu Potsdams barockem Stadtbild passt. Die Kleinteiligkeit macht die Stadt aus. Ihretwegen lässt es sich hier gut leben, ihretwegen besuchen so viele Touristen die Stadt. In seiner Bedeutung ist das Schloss daher kaum zu überschätzen.
Schon als der Vorgängerbau dort stand, war alles ringsherum auf ihn ausgerichtet. Seit Potsdams erster urkundlicher Erwähnung im Jahre 993, seit mehr als 1000 Jahren, befand sich am heutigen Alten Markt ein repräsentatives Gebäude. Zunächst war es eine Slawenburg, die im Laufe der Zeit immer wieder umgestaltet und erweitert wurde. An der Wende zum 17. Jahrhundert, 1598, ließ Katharina, die Frau des Kurfürsten Joachim Friedrich, die inzwischen verfallenen alten Gebäude abreißen und gab den Auftrag für ein neues kurfürstliches Schloss, das wegen ihres frühen Todes jedoch nicht fertig wurde. Der Kurfürst verlor das Interesse am Schloss und verpfändete es an einen Junker, der die Anlage herunterwirtschaftete: Er nutzte sie jahrelang als Scheune und als Schafstall. Weitere Schäden richtete der Dreißigjährige Krieg an. Erst mit dem Großen Kurfürsten begann das Areal wieder in den Fokus zu rücken. Friedrich Wilhelm kaufte das Gut aus der Verpfändung zurück und gab abermals einen Neubau in Auftrag, der zwischen 1662 und 1669 errichtet wurde und der sich an der französischen Schlossarchitektur orientierte. Als der Kurfürst kurze Zeit später seinen gesamten Hofstaat nach Potsdam holen wollte, erwies sich die Anlage aber bereits als zu klein und musste abermals erweitert werden. Unter Friedrich Wilhelm bekam Potsdam damit erstmals ein Entrée, einen würdigen Stadteingang.
Friedrich Wilhelms Sohn, Kurfürst Friedrich III., machte das Stadtschloss zum Zentrum seiner ausschweifenden Vergnügungen: Große Feste und pompöse Bälle wurden gefeiert, im Juli 1709 kamen hier sogar die Könige von Sachsen, Dänemark und Preußen zum legendären Dreikönigstreffen zusammen. Doch abgesehen von allem Laster war es auch Friedrich, der dem Schloss einen architektonischen Stempel aufdrückte, der auch heute – wieder – existiert. Anlässlich seiner Selbstkrönung zum preußischen König ließ Friedrich, der sich fortan Friedrich I. nannte, 1701 das Fortunaportal als neuen Eingang zum Schloss errichten.
Während Friedrichs Sohn, der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., dem Stadtschloss verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit schenkte, begann mit dessen Nachfolger Friedrich II. die Blütezeit des Schlosses. Der junge König, der dabei war, die gesamte Innenstadt umzugestalten, war auch unzufrieden mit dem Erscheinungsbild des Stadtschlosses. Er beauftragte daher den Baumeister Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff mit der Umgestaltung. Knobelsdorff entwarf schließlich die berühmte, mit Rücksprüngen versehene Schlossfassade, die dem in seinen Ausmaßen gewaltigen Baukörper – die Längsseiten messen rund 120 Meter – viel von seiner Wucht nahm und ihn ebenso filigran wie anmutig erscheinen ließ.
Zwei Jahrhunderte bestimmte Knobelsdorffs Schloss das Stadtbild, wer die Stadt über die Lange Brücke oder die Breite Straße betrat, sah den prächtigen Bau schon von Weitem. Alle Sichtbeziehungen der Innenstadt haben das Schloss zum Zentrum, an ihm maß sich, was ringsherum entstand: die prächtigen Bürgerhäuser an der Alten Fahrt wie der Palast Barberini, das Alte Rathaus, die Nikolaikirche. Nach dem Ende der Monarchie wurde das Schloss zum Zentrum des bürgerlichen Lebens der Stadt: Das Heimatmuseum zog ein, das Arbeitsamt, selbst die Stadtverwaltung und die Stadteverordneten nutzten es für ihre Sitzungen. Auch Künstler nahmen einige der Räume in Beschlag. Bis der Bombenangriff in der Nacht des 14. April 1945 all dem ein Ende machte. Das Stadtschloss brannte bis auf die Außenmauern nieder.
In den ersten Nachkriegsjahren gab es zwar noch Wiederaufbaupläne, doch in den 50er-Jahren setzte das sozialistische Regime den Abriss der Ruine durch – gegen den Widerstand aus der Bevölkerung, von Architekten und Künstlern. Erstaunlicherweise blieb das Schlossareal von der sonstigen Umgestaltung der Potsdamer Mitte zu einem „sozialistischen Stadtzentrum“ verschont. Ringsum enstand mit der Fachhochschule, dem inzwischen abgerissenen Haus des Meliorationskombinats in der Schloßstraße und dem Mercure-Hotel eine Bausünde nach der anderen – der Platz zwischen Havelufer und Nikolaikirche aber blieb frei. Zwar hatte es immer wieder Anläufe gegeben. In den 60er-Jahren gewann der Potsdamer Architekt Günter Vandenhertz einen Wettbewerb für ein neues Theater am Alten Markt, doch wurden die Pläne letztlich aus Kostengründen aufgegeben. Einen zweiten Anlauf Ende der 80er-Jahre vereitelte die Wende: Der fertiggestellte Rohbau des Bühnenturms für das Theater wurde trotz vieler Proteste, vor allem von Kulturschaffenden, wieder abgerissen. Die Stadtverordneten wollten das Schlossareal für einen Wiederaufbau freihalten.
15 Jahre währte der Streit darüber, ob Potsdam sein Schloss wiederbekommen soll. Auch jetzt, da es steht, sind die Meinungen geteilt. Doch die Schar der Gegner schrumpft. Ob positiv oder negativ – kaum jemand kann sich der Wirkung des Knobelsdorffschen Palastes, dessen Fassade Software-Milliardär Hasso Plattner spendete, entziehen. In jeder Straßenbahn, die das Gebäude passiert, wandern die Blicke der Fahrgäste unweigerlich zum Schloss, jedes Mal ist es auch Diskussionsgegenstand. Vielleicht fasst der Ausruf eines Potsdamers vor wenigen Tagen am besten zusammen, warum selbst Gegner der Wirkung des Hauses erliegen: „Na, schön aussehen tut’s ja“, knurrte der Mann in der Tram. Er hat mit dem Schloss seinen Frieden gemacht.
Den Wettlauf ums Schloss hat Potsdam gegen Berlin gewonnen. Lange hat man aus der Bundeshauptstadt mit Neid auf den Nachbarn geschaut, weil man hier Nägel mit Köpfen machte, während in Berlin noch über das Schicksal des Palastes der Republik diskutiert wurde. Auch dort entsteht nun das Stadtschloss neu. In Potsdam aber ist es jetzt fertig. Es bildet das alte neue Zentrum der Stadt, es ist Wegbereiter dafür, dass der Alte Markt auch an der Havelseite mit dem Palast Barberini und den anderen Palazzi wieder eine Fassung bekommt. Man mag über Architektur streiten, aber unbestreitbar ist eines: Mit dem Stadtschloss hat Potsdam sein Herz wieder. Es steht jetzt da wie selbstverständlich. Als wäre es nie weg gewesen.
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