
© Jan Kuppert
Sport: Wildau statt St. Pauli
Leon Hellwig ist vor der Saison vom Landespokalsieger Optik Rathenow zum SV Babelsberg gewechselt. Am Samstag fährt er nach Wildau, statt mit dem Hamburger Kultverein die Kräfte zu messen
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Darüber nachgedacht hatte Leon Hellwig natürlich – bleiben oder gehen? Mit Optik Rathenow hatte er Ende Mai den Landespokal gewonnen, mit 3:1 gegen den SV Babelsberg 03, und wie jedem Landespokalsieger winkte ihm die Teilnahme am DFB-Pokal. Amateurvereine bekommen Profiklubs zugelost, und neben dem allgemeinen Traumlos Bayern München sind auch noch jede Menge andere Hochkaräter zu vergeben. Der Zweitligist FC St. Pauli zum Beispiel, der am heutigen Samstag um 15.30 Uhr in Rathenow antritt. Das dortige Stadion Vogelgesang ist ausverkauft, erstmals seit Jahrzehnten.
Rathenow hatte allerdings ein sportliches Problem, und das war der Abstieg aus der Regional- in die Oberliga, von Liga vier in Liga fünf. 14 Spieler, darunter Leon Hellwig, verließen den Verein, was nicht ungewöhnlich ist im Fall eines Abstieges. Hellwig zog es zum SVB 03, dem Verlierer des Pokalspieles, der zumindest mit Glück die Regionalliga gehalten hatte. Er habe sich „für die Regionalliga-Saison entschieden“, sagt der 23-Jährige Hellwig. Die Alternative wäre gewesen, für dieses eine Spiel auf die höhere Spielklasse zu verzichten. Bereut habe er die Entscheidung nicht; in Babelsberg sei alles etwas größer, professioneller.
So führt in sein erstes Pokalspiel am Samstag um 15 Uhr nach Wildau. Zur gleichen Zeit, wenn auch Rathenow gegen St. Pauli vielleicht auf eine Sensation hofft. Damit ist Hellwig nicht der, der für diese Sensation sorgen könnte, sondern der, der sie verhindern muss. Wildau spielt drei Ligen tiefer, ist zuletzt in die siebtklassige Landesliga aufgestiegen. „Wir kämpfen im Landespokal“, lautet die Ankündigung auf der Internetseite des südöstlich von Berlin gelegenen Vereins.
Und Babelsberg? „Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, druckvoll nach vorn spielen, dem Gegner unsere Spielphilosophie aufdrücken“, sagt Nulldrei-Trainer Cem Efe. So, wie es beim 2:0-Sieg gegen den Berliner AK vom vergangenen Freitag phasenweise schon funktionierte. Efe erwartet einen physisch starken Gegner. „Jeder kann rennen. Wir müssen schneller spielen“, fordert er von seinen Akteuren.
Ein wenig wird er das Personal der ersten beiden Regionalliga-Spiele wechseln. Dominic Feber wird für Marvin Gladrow im Tor stehen, verrät Efe, und auch A-Junior Oliver Traeder, der von Hertha BSC zurückgekehrt ist, soll seine Chance bekommen. Außerdem dürfte wohl Ugurtan Cepni pausieren, weil er auch im nächsten Punktspiel in Bautzen gesperrt wäre – da will der Trainer nach einer Alternative suchen.
Dabei sein dürfte weiterhin Leon Hellwig. Der Neuzugang („Wir wollen auf jeden Fall konzentriert an die Sache gehen“) hat sich auf der Position im defensiven Mittelfeld schnell festgespielt. Überraschend ist das nicht, ist dies doch seit mehr als fünf Jahren seine Stammposition in allen Vereinen. In der B-Jugend von Tennis Borussia lief er noch als rechter Verteidiger auf, ehe er in der A-Jugend vor die Abwehr gestellt wurde.
Efe weiß, dass der Verein mit Hellwigs Verpflichtung einen guten Griff gemacht hat. Er sei „sehr sehr zufrieden“, lobt die mannschaftsdienliche Spielweise, die Arbeit gegen den Ball und seinen Charakter. „Ich hätte mir keinen anderen Spieler wünschen können“, so Efe.
Ähnliche Worte findet Optik-Coach Ingo Kahlisch, der ihn vier Jahre trainierte. „Er ist menschlich und sportlich ein echter Verlust“, sagte der 58-jährige Potsdamer, der seit mehr als 25 Jahren Optik trainiert, „ein guter Junge“. Natürlich ist er enttäuscht, dass Hellwig gegangen ist. „Es gehört für mich für Sportler dazu, dass sie die Suppe mit auslöffeln“, sagt Kahlisch mit Blick auf den Abstieg.
Weniger als die Hälfte der Spieler ist geblieben. Auf sie und zehn Neuzugänge wartet nun mit dem Pauli-Spiel eine Partie, die bereits Geschichte geschrieben hat. Das Stadion Vogelgesang ist mit 4500 Plätzen ausverkauft. Zum ersten Mal ist die Nachfrage größer als die Zahl der gedruckten Karten. Einige Ältere in Rathenow wollen sich zwar daran erinnern, dass es so etwas in den 1950er-Jahren schon mal gegeben haben soll. Aber für die Neuzeit, wo sich 300 bis 500 im Areal verlieren und die 1000er-Grenze nur mithilfe der Auswärtsfans geknackt wird, gab es das noch nie. Auch auf der Straße wird er gefragt, ob er noch Karten hat – er kann nur abwinken. Einige Fans, die dachten, dass in Rathenow die Tickets nie alle werden, gucken in die Röhre. Dafür haben viele linksorientierte Pauli-Fans in Berlin zugeschlagen, 2000 Tickets sind an Auswärtige gegangen. Es hätten weitaus mehr sein können.
An einen Umzug hat Kahlisch dennoch nie gedacht, auch nicht, als der SV Babelsberg 03 das Karl-Liebknecht-Stadion ins Gespräch brachte. Miete zahlen für letztlich ein paar Zuschauer mehr – vielen bei Optik war es das nicht wert. „Du musst alle mitnehmen, die sich hier über Jahre engagieren“, denkt Kahlisch an die ehrenamtlichen Helfer im Verein. Auch für sie ist letztlich dieses Spiel.
Zum sportlichen Wert hält Kahlisch sich zurück. Ein Schlaganfall hatte ihn im Frühjahr außer Gefecht gesetzt, regelmäßig geht er jetzt zur Reha, steht aber bei fast allen Trainings und allen Spielen wieder an der Seitenlinie. Ein aufregendes Spiel werde das nicht, „wir haben nichts zu verlieren“, sagt Kahlisch. Dennoch klingt der Trainerfuchs besorgt. Trotz zweier Siege in der Oberliga sieht er eine „sportlich schwierige Situation“. Aus seiner alten Truppe hätte er gern noch ein paar mehr behalten.
Ingmar Höfgen
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