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Von Jan Kixmüller: Wilde Sternenhochzeit

In Potsdam wurde die Kollision zweier Neutronensterne erstmals simuliert. Ein Schritt zur Messung von Gravitationswellen

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Es ist ein Liebesakt weit über den Wolken. Nähern sich zwei Neutronensterne im Weltall, so umkreisen sie einander, laufen in spiralförmigen Bahnen aufeinander zu, um ab einer gewissen Nähe vollkommen einander zu verfallen: Sind die beiden Sterne zu nah, um der Anziehung durch die Gravitation des anderen zu widerstehen, kommt es zu einer äußerst heftigen, plötzlichen Verschmelzung. Es entsteht ein hypermassiver Neutronenstern, der schließlich zu einem rotierenden Schwarzen Loch kollabiert, das von einem Ring aus heißer, dichter Materie umgeben ist. Eine Liaison also, bei der sich die beiden einander Verfallenen am Ende mit Haut und Haaren verschlungen haben.

So zumindest stellt sich die erste vollständige Computersimulation zweier Neutronensterne dar, die einer Potsdamer Forschergruppe um Prof. Luciano Rezzola vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) nun gelungen ist. Die Gravitationsphysiker konnten in der Simulation erstmals den kompletten Zyklus einer Kollision zweier Neutronensterne zeigen. Die Simulation zeigt, dass der gesamte Prozess von Annäherung, Verschmelzung und Kollaps sehr schnell verläuft. Wobei enorme Mengen Energie frei werden. Das Doppelsternsystem strahlt in weniger als einer Sekunde mehr Energie ab, als unsere Sonne in zehn Milliarden Jahren. Daher erwarten die Forscher, dass ein solches kosmisches Großereignis mit leistungsstarken Detektoren auch in einem Abstand von Milliarden von Lichtjahren noch zu erkennen sein dürfte.

Das Kollisionsmodell wurde unter Anwendung von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie in drei Dimensionen und unter Einbeziehung der Zeit und der Gravitation errechnet. Einsteins Theorie beschreibt die Schwerkraft zwischen verschiedenen Körpern wie in einem Sprungtuch: die Körper, die sich im Raum bewegen, beeinflussen sich darin gegenseitig, ein schwerer Körper zieht die anderen mit sich, indem er das „Tuch“ nach unten drückt. Neutronensterne gehören neben Schwarzen Löchern zu den für die Forschung faszinierendsten Objekten des Universums. Als Endergebnis der Sternenentwicklung und Überbleibsel einer Supernovaexplosion haben diese Sterne eine größere Masse als die Sonne.

Diese große Masse ist allerdings zu einer perfekten Kugel von der Größe einer Kleinstadt zusammengepresst. Die Dichte der Materie ist so hoch, dass ein Teelöffel Neutronensternmaterie so viel wiegen würde wie die gesamte Alpenkette. Die Gravitationskräfte sind gleichzeitig dermaßen stark, dass die physikalischen Bedingungen denen am Rande eines Schwarzen Loches ähneln. Da sich solche Bedingungen in irdischen Laboren nicht erzeugen lassen, weiß die Forschung bislang sehr wenig über die Neutronensterne.

„Mit unseren Berechnungen können wir genauer als jemals zuvor zeigen, wie zwei Neutronensterne miteinander verschmelzen“, erklärt Luciano Rezzolla, der die Arbeitsgruppe Numerische Relativitätstheorie am AEI leitet. „Neutronensterne sind hochgradig spannende Objekte“, sagt er. Für die Forscher sind sie noch deutlich interessanter als Schwarze Löcher. „Denn die Berechnung ihres Verhaltens liefert nicht nur neue Informationen über Gravitationswellensignale, sondern auch über Gammastrahlenausbrüche, extrem kurze und energiereiche Ereignisse.“

Anhand der Simulation können die Forscher nun auch sehen, wie Gravitationswellen entstehen. Die Daten daraus sind wichtig für die mächtigen Gravitationswellendetektoren, die unter anderem bei Hannover (AEI), in Italien und den USA nach diesen unsichtbaren Wellen fahnden, die nach Einsteins Theorie das Universum permanent durchpflügen. Eine Messung der Wellen wäre auch ein letzter Beweis für Richtigkeit der Relativitätstheorie.

Mit riesigen Laserarmen, die zwischen drei Spiegeln eine dreieckige Messstrecke bilden, versuchen diese Detektoranlagen die Gravitationswellen zu messen. Allerdings sind sie bislang noch nicht empfindlich genug. Die Messung einer solchen Welle dürfte den daran beteiligten Forschern den Nobelpreis einbringen. Das Potsdamer Albert-Einstein-Institut, derzeit mit dem Detektor bei Hannover zusammen mit der dortigen Uni an der Suche beteiligt, ist eigenen Aussagen zufolge weltweit unter den führenden Forschergruppen auf diesem Gebiet.

Mit bisherigen Teleskopen und Geräten zur Himmelsbeobachtung sind nur vier Prozent des Universums (!) zu sehen. Mit Hilfe der Gravitationswellen hofft man die Tür zu den übrigen 96 Prozent aufstoßen zu können. Allein eine gemessene Gravitationswelle könnte Auskunft über ein enormes Spektrum der Geschichte unseres Universums geben. „Da es vollkommen neue Arten von Messungen sind, weiß noch niemand, was man alles zu sehen bekommen wird“, so die Einstein-Forscher aus Golm. Ein Grund dafür, dass Wissenschaftler in aller Welt derzeit hinter diesen Wellen herjagen.

Das Potsdamer AEI ist auf dieser Jagd ganz vorne mit dabei, für 2018 ist der Start von drei Satelliten geplant, die Millionen von Kilometern voneinander entfernt im All die Wellen messen sollen. Durch das sogenannte Lisa-Projekt dürfte der Blick noch weiter zurück in die Vergangenheit der Welt reichen, denn im Weltall gibt es keine Störgeräusche. Bereits 2010 soll ein erster Path-Finder-Satellit starten, der die Technologie testet. Bis in die ersten Trillionstel Sekunden unseres Universums soll der Blick der Forscher zurückreichen. Bislang kann man bloß bis 300 000 Jahre nach dem Urknall zurückschauen. „Dahinter liegt noch das Wesentliche über die Entstehung des Universums verborgen.“

Durch die Erkenntnisse der Simulation von Rezzolla kann man nun aus dem riesigen Berg von Daten, die bei der Suche nach Gravitationswellen anfallen, die wichtigen Informationen leichter herausfiltern. Denn die Kollision von Neutronensternen gehört zu den Auslösern der Wellen. Alle beschleunigten Massen im Weltall verursachen nach Einsteins Theorie diese Wellen, etwa auch Supernovae oder verschmelzende Schwarze Löcher.

Die Suche nach Gravitationswellen ist Grundlagenforschung, die zum besseren Verständnis der Gesetzmäßigkeiten unserer Welt beitragen soll. Doch, da ist man sich am Einstein-Institut sicher, auch solche Forschung zieht praktische Anwendungen nach sich. So seien etwa schnellere Supercomputer dafür entwickelt worden. Wie auch die Web-Browser im Zuge der Erforschung von Schwarzen Löchern entstanden sind. Die Forschung des AEI ergänzt letztlich auch das Großprojekt am CERN. Während man in Golm nach den Gesetzmäßigkeiten der Physik im Großen sucht, will der Teilchenbeschleuniger bei Genf der Welt der kleinsten Teilchen ihre letzten Geheimnisse entreißen. Und an irgendeiner Stelle müssten dann Relativitäts- und Quantentheorie auch zusammenpassen. Da diese Verbindung aber noch nicht gefunden ist, geht die Suche weiter, die Suche nach der sogenannten „Weltformel“.

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