Von Erhart Hohenstein: Wilhelm II. prägte Potsdam
Keine Veranstaltung zum 150. Geburtstag
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Die Nachwelt hat dem letzten deutschen Kaiser Wilhelm II., einem der Hauptverantwortlichen für den Ersten Weltkrieg, keine Kränze geflochten. Angekreidet wurden ihm Großmannssucht und Prahlerei. Dass Deutschland während seiner 30-jährigen Regierungszeit wirtschaftlich, in Forschung und Technik einen steilen Aufschwung erlebte, blieb meist ungewürdigt, ebenso seine fortschrittliche Sozialgesetzgebung. Am 27. Januar jährt sich der Geburtstag Wilhelms II. (1859 - 1941) zum 150. Mal. Zum Jubiläum findet in Potsdam keine Veranstaltung statt. Die Hohenzollernfamilie wird im holländischen Doorn, wo der 1918 entthronte Kaiser im Exil lebte, an das Datum erinnern.
Das Gesicht der Stadt Potsdam ist durch Wilhelm II. wesentlich mitgeprägt worden. In seiner Regierungszeit entstanden die Sternwarte Babelsberg, das Meteorologisch-Magnetische Observatorium und das Geodätische Institut auf dem Telegrafenberg, die Potsdams zu einer wichtigen Wissenschaftsstadt machten. Mit dem Regierungsgebäude (heute Stadthaus), dem Rathaus Babelsberg, dem Reichsrechnungshof, dem Kaiserin-Augusta-Stift, der Handels- und Gewerbeschule für Mädchen (heute Oberstufenzentrum), der Kriegsschule (heute Landtag) auf dem Brauhausberg, der neuen Glienicker Brücke wurden bis heute stadtbildprägende Bauten errichtet. Für den Kirchenbau sind die zerstörte Synagoge, die Erlöserkirche und die Bornimer Kirche zu nennen.
Die enge Verbindung Wilhelms zu Potsdam führte dazu, dass er als Kaiser bereits ein Jahr nach seinem Regierungsantritt im Mai 1889 das Neue Palais bezog und bis zum Ende der Monarchie 1918 als bevorzugte Residenz nutzte. Hier empfing er Politiker und führende deutsche Industrielle, hier verkündete er am 31. Juli 1914 den Kriegszustand und leitete so den Ersten Weltkrieg ein. Zwischen Ostern und Silvester war das riesige Barockschloss ebenso Schauplatz des kaiserlichen Familienlebens. Wilhelm II. bewohnte gemeinsam mit seiner Gemahlin Auguste Victoria (1858 - 1921) im Oberen Fürstenquartier des Nordflügels 25 Räume. Daneben lagen die Zimmer ihrer einzigen Tochter Victoria Luise, während die sechs kaiserlichen Prinzen mit ihren Erziehern in relativ einfach ausgestatteten Räumen in der zweiten Etage untergebracht waren.
Um das Neue Palais als Wohnsitz der kaiserlichen Familie und für gesellschaftliche Zwecke nutzen zu können, ließ Wilhelm II. die von seinem Vater und Vorgänger, Kaiser Friedrich III, begonnene technische Modernisierung fortsetzen. Dazu zählten moderne sanitäre Anlagen mit mehr als 30 Bädern und Toiletten, Gasbeleuchtung und die Elektrifizierung im Schloss, Aufzüge, eine der ersten Telefonanlagen Deutschlands und eine gewaltige Heizungsanlage im Keller, die noch heute in Sonderführungen besichtigt werden kann. Kunsthistoriker bescheinigen dem Kaiser, dass bei den Modernisierungsmaßnahmen größter Wert darauf gelegt wurde, im Palais den Originalzustand der friderizianischen Raumschöpfung zu bewahren.
Im Umfeld des Palais entstanden umfangreiche Komplexe für den Marstall (heute von der Universität genutzt), die kaiserliche Post (in den letzten Jahren saniert und zum Bürohaus ausgebaut) sowie der Kaiserbahnhof. Die Deutsche Bahn hat ihn saniert und nutzt ihn als Schulungszentrum für Führungskräfte. Im Park Sanssouci erinnern vor allem die zum 25. Jahrestag der Krönung geschaffenen Jubiläumsterrassen unterhalb der Orangerie an die wilhelminische Zeit, aber auch das Modellfort. Es wurde 2007 als wichtiges Denkmal der Militärgeschichte anerkannt. Inzwischen hat die Schlösserstiftung mit Ausstellungen „Der Kaiser im Bild“, „Der Kaiser und die Macht der Medien“ sowie „Der Traum vom Orient“ dazu beigetragen, die geschichtliche Rolle Wilhelms II. aufzuarbeiten. Im Potsdam-Museum ist gerade die Schau „Aus allerhöchster Schatulle“ über kaiserliche Präsente zu Ende gegangen.
Offen bleibt, wann und wie diese für die deutsche Geschichte, für Potsdam und Sanssouci nicht unwichtige Epoche auch im Neuen Palais sichtbar gemacht werden kann. Die begonnene Sanierung und Restaurierung soll das Schloss für die Feierlichkeiten zum 300. Geburtstag seines Erbauers König Friedrich II. im Jahr 2012 fitmachen. Bis dahin wird für Wilhelm keine Zeit sein. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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