Sport: Wimpernschlag
Amerikaner im Anflug auf die Sommeridylle Mecklenburgs. Sie kommen nicht als Freiheitsengel, sondern als Todesboten.
Stand:
Amerikaner im Anflug auf die Sommeridylle Mecklenburgs. Sie kommen nicht als Freiheitsengel, sondern als Todesboten. Das muss ein Regiefehler sein, schließlich schreiben wir das Jahr 1944, da ist der amerikanische Traum doch noch heil. Zumindest in der Fantasie des elfjährigen Jungen, der da unten auf der Straße zwischen Alleebäumen und goldgelben Kornfeldern mit dem Fahrrad unterwegs ist. Der kleine Held des Romans ist ein Amerika-Fan, verschlingt Detektiv-, Indianergeschichten und Amazonasabenteuer aus der Leihbücherei. Er hätte ein guter Amerikaner werden können. Aber die drei Männer, die den Schatten ihrer Douglas über Feindesland jagen, sind Amokflieger, Hasardeure, ausgebrochen aus ihrem Geschwader. Geschossen wird auf alles, was sich unten bewegt.
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Der Junge wird tödlich getroffen und stirbt auf Seite 24. Was bleibt dem Autor noch zu erzählen? Der Augenblick des Todes, jener Wimpernschlag, in dem das ganze zurückliegende Leben vorüberschwirrt. Und weil das bei einem Jungen von elf Jahren nicht für einen Abspann von 245 Seiten reicht, muss eben ein Leben erträumt werden. Ernst Augustin, gelernter Arzt und Psychiater, ehemaliger Gerichtsgutachter und als inzwischen 79-Jähriger mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet, lässt seine sterbende Hauptfigur, die neben dem umgestürzten Fahrrad verblutet, als Privatermittler Hawk Steen auferstehen. Der Trivialheld zieht aus zum Rachefeldzug gegen seine Mörder, eine Jagd durch das Dickicht der Hirngespinste, die aus grauen Wolkenkratzerstädten hinabführen in die Sümpfe Floridas bis in die Dschungelhölle Costa Ricas, wo der Jäger selbst zum Gejagten wird. Ein sprachgewaltig halluzinierter Trip, der seine Leser mitreißt. Stephan Wiehler
Ernst Augustin: Der amerikanische Traum. Roman. Verlag C. H. Beck, München. 269 Seiten, 19,90 €.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: