ZUR PERSON: „Wir können das nicht verantworten“
Jochim Sedemund über unterbezahlte Musiker der Kammerakademie und entstprechende Konsequenzen
Stand:
Herr Sedemund, ein berühmtes Gemälde von Carl Spitzweg zeigt den „armen Poeten“. Seit Wochen weisen Sie darauf hin, dass die Musiker der Kammerakademie erheblich unterbezahlt sind und die Stadt ihre Zuwendungen erhöhen muss. Wenn das nicht passiert, könnte man dann ein Spitzweg ähnliches Bild mit dem Titel „Der arme Kammermusiker“ zeichnen?
Ja, das würde man können. Im Unterschied zum armen Poeten von Spitzweg aber ist die Kammerakademie Potsdam extrem erfolgreich. Im Jahr 2000 im Grunde bei Null angefangen, hat sich die Kammerakademie als international anerkanntes Orchester etabliert, das nicht nur die musikalische Grundversorgung von Potsdam wahrnimmt, sondern auch als nationaler und internationaler Kulturbotschafter für Potsdam tätig ist.
Aber nicht entsprechend bezahlt wird.
Da offenbart sich ein riesiger Kontrast zwischen der Entlohnung einerseits, die nur bei einem Drittel der Bezahlung öffentlicher Tariforchester liegt, und dem, was die Stadt durch die Leistung des Orchesters an musikalischer Grundversorgung und überregionaler Ausstrahlung als Kulturstandort gewinnt, andererseits.
Warum haben Sie so lange gewartet, bis Sie mit diesem Problem an die Stadtverwaltung herangetreten sind?
Wir haben gewartet, weil uns immer wieder gesagt wurde, dass es aussichtslos sei, mehr Geld zu erhalten. Aber ab 2007 kam es im gesamten öffentlichen und privaten Bereich zu Tarifabschlüssen, dass wir die Musiker nicht länger hinhalten können.
Und diese Angleichung an die Tariferhöhungen muss die Stadt übernehmen? Wie ist die Kammerakademie mit der Stadt Potsdam verbunden?
Der Trägerverein der Kammerakademie ist durch einen Vertrag mit der Stadt beauftragt worden, die musikalische Grundversorgung der Stadt zu gewährleisten. Dafür erhält der Verein die städtische Zuwendung. Die Grundversorgung umfasst fünf Konzerte im Nikolaisaal in der Reihe sinfonischer Konzerte, mehrere Sonderkonzerte zu Weihnachten, Silvester, zur Saisoneröffnung und im Foyer, dazu die Bespielung des Schlosstheaters und ein Kinder- und Jugendprogramm, das wir in den vergangenen fünf Jahren sogar verdoppelt haben. Die Tariferhöhungen fallen eindeutig unter die Kosten der öffentlichen Grundversorgung. Der Trägerverein sieht es dagegen als seine Aufgabe an, die Kammerakademie über die Grundversorgung hinaus zu einem internationalen Spitzenorchester zu machen und diejenigen Ausgaben zu finanzieren, die dazu notwendig und aus dem Zuschuss der Stadt nicht zu leisten sind.
Wie erreicht der Trägerverein das?
Wir verstehen uns deshalb auch im Rahmen einer Art „Public-Private Partnership“ als Sponsor und finanzieren international herausragende Dirigenten, Künstler und die bekannte „Winteroper“ im Schlosstheater, die aus dem städtischen Zuschuss nicht bezahlt werden können. Dafür haben wir in den vergangenen Jahren schon mehrere 100 000 Euro eingeworben. Mittlerweile hat das Orchester Einladungen aus ganz Deutschland, aus Brüssel und sogar aus Spanien.
Was verdient einer der 30 Musiker bei der Kammerakademie?
Ohne die Winteroper verdienen die Musiker im Schnitt 1200 Euro im Monat, vor den Abzügen. Für weit mehr als die Hälfte der Musiker ist die Kammerakademie, mit der sie auf Basis von Honorarverträgen verbunden sind, die Haupteinkommensquelle.
Sie erhalten 730 000 Euro jährlich von der Stadt. Wie viel Geld verlangen Sie zusätzlich?
Zuerst einmal geht es um wenigstens 40 000 Euro mehr in diesem Jahr, damit wir den Musikern eine Tariferhöhung um etwa drei Prozent ermöglichen können. Wir haben aber in den letzten Jahren auch Kostensteigerungen von zirka 40 000 Euro gehabt. Um diese aufzufangen, sollten in den Jahren bis 2012 dann jeweils 10 000 Euro pro Jahr dazukommen.
Was die städtische Kulturförderung betrifft, kann eines mit Sicherheit immer gesagt werden: Die Kassen sind leer. Nun hat die Stadt außerplanmäßig sehr viel Geld in den insolventen Lindenpark und das insolvente Waschhaus gesteckt. Jetzt sind die Kassen also noch leerer. Nun könnte die Verwaltung Sie doch bitten, da die Arbeit des Trägervereins so erfolgreich ist, auch das nötige Geld für eine entsprechende Bezahlung für die Musiker einzuwerben.
Zum einen ist seit dem vergangenen Jahr unter dem Eindruck der Finanzkrise die Einwerbung von Sponsoren sehr viel schwieriger geworden. Zum anderen würde das erheblich die Balance zwischen Grundversorgung auf der einen und dem internationalen Anspruch auf der anderen Seite stören, wenn eine Seite in dieser „Privat-Public-Partnership“ seine Verantwortung nicht wahrnimmt.
Wäre es eine Alternative, beispielsweise die Grundversorgung bei der fehlenden Finanzierung zurückzunehmen.
Das wäre eine Alternative, aber eine völlig sinnlose. Wenn wir beim weiteren Aufbau der Kammerakademie zu einem Spitzenorchester Abstriche machen, hat niemand etwas davon. Das hätte auch erhebliche Auswirkungen auf das Sponsoring. Das basiert auf Leistung und Gegenleistung und jeder Sponsor will wissen, was er fördert, zu welchem Zweck und was er damit erreichen kann. Und warum sollte jemand Geld in ein Orchester investieren, das schlechter wird.
Haben Sie Verständnis dafür, dass die Stadt mehrere 100 000 Euro in den Lindenpark und das Waschhaus, die beide Insolvenz anmelden mussten, investiert?
Wir wollen diesen Einrichtungen das Geld nicht streitig machen. Was wir aber wollen, ist gleich behandelt zu werden. Denn die Kammerakademie erfüllt mindestens in dem gleichen Umfang einen öffentlichen Auftrag, wie die freien Träger, die jetzt mehrere 100 000 Euro mehr Förderung erhalten.
Der Offene Kunstverein hat in der vergangenen Woche in einer Pressemitteilung spekuliert: „Vielleicht würde uns auch eine Insolvenz helfen, um in den Genuss einer erhöhten Förderung durch die Stadt Potsdam zu kommen.“
Auf diese Idee könnte man anhand der Beispiele Waschhaus und Lindenpark fast kommen. Doch das wollen wir nach Möglichkeit vermeiden.
Was passiert, wenn die Stadt dabei bleibt und in diesem Jahr kein weiteres Geld für die Kammerakademie in den Haushalt einstellt?
Das würde zu einer sehr starken Frustration und Demotivierung bei den Musikern führen, die nicht ohne Auswirkung auf die Qualität bleiben werden. Es besteht auch das große Risiko, dass uns unsere besten Leute weglaufen. Keine Anerkennung, kein Geld, warum sollen sie in diesem Orchester weitermachen? Für den Trägerverein ist es dann auch moralisch nicht mehr zu verantworten, die Musiker weiterhin in diesem Zustand der Unterbezahlung zu belassen.
Welche Konsequenzen würde der Trägerverein daraus ziehen?
Dann müsste der Trägerverein tatsächlich sagen: Liebe Stadt, nimm das Orchester bitte wieder in Deine Verwaltung zurück! Wir können das gegenüber den Musikern nicht mehr verantworten.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Jochim Sedemund, 1935 in Elmshorn geboren, ist Senior Partner der internationalen Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer und Vorstandsvorsitzender im Trägerverein der Kammerakademie Potsdam e.V.
Nach dem Studium in Hamburg, Köln und Berlin trat er zunächst einer auf Europarecht spezialisierten Bonner Anwaltskanzlei bei, die auch für die Bundesregierung tätig ist und ab 2000 mit verschiedenen nationalen und internationalen Kanzleien fusionierte.
Nach der Wiedervereinigung baute Jochim Sedemund die Berliner Niederlassung der Anwaltskanzlei auf und lebt seit 1996 in Potsdam.
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