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Homepage: „Wir lehnen Streik als Protestform ab“

AStA-Vorsitzender Martin Bär über den Studentenstreik in Berlin, die Ruhe in Potsdam und intelligente Proteste

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AStA-Vorsitzender Martin Bär über den Studentenstreik in Berlin, die Ruhe in Potsdam und intelligente Proteste Der Streik der Berliner Studierenden richtet sich gegen die geplante Kürzung von 75 Millionen Euro für die dortigen Hochschulen. Wann streikt Potsdam? Nach der Meinung des AStA der Uni Potsdam gar nicht. Wir lehnen den Streik als Form des Protestes für Potsdam ab. Kürzungspläne und Einführung genereller Studiengebühren wie sie für Berlin und Hessen vorliegen existieren so explizit für Brandenburg nicht. Wir betrachten auch das Mittel Streik für eine Studierendenschaft kritisch. Es gibt kein Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis, bei dem durch Streik ein Schaden verursacht wird, wodurch ein Druckpotenzial entsteht. Es kann auch in der Öffentlichkeit falsch verstanden werden, wenn man mehr Bildung fordert, aber wegen des Streiks auf seine Bildung verzichtet. Wir wollen in Potsdam intelligente Proteste: etwa Vorlesungen in der Öffentlichkeit, so wie die Marathon-Vorlesung am Potsdamer Platz oder symbolischen Protest. Während Berlin drastische Kürzungen ankündigt, spricht das Wissenschaftsministerium Brandenburg von einem Aufwuchs – jährlich rund 10 Prozent inklusive Tarifsteigerung – und von 3500 neuen Studienplätzen bis 2007. Gibt es hier überhaupt einen Grund, zu protestieren? Doch. Von der Haushaltslage her gesehen geht es den Brandenburger nicht viel besser als den Berlinern. Man muss sehen, dass der Haushalt der Universität Potsdam auch für 2004 ein Defizit von 8,5 Millionen Euro aufweist. Um damit klar zu kommen, wird an der Ausgestaltung von Studienplätzen gespart. Die Uni bekommt so mehr Studierende als es ausfinanzierte Plätze gibt. Die Ankündigung eines Aufwuchses ist ein positives Zeichen, stopft aber nur die vorhandenen Löcher. Ich rechne nicht damit, dass Brandenburg Halt macht, wenn die Hürde bundesweiter Studiengebühren fällt. Das Land würde mit Studierenden überschwemmt werden. Die Befürworter von Studiengebühren erwarten sich eine Verbesserung der Ausbildung. Der Potsdamer AStA lehnt Studiengebühren generell ab. Das Problem wird bei der derzeitigen Verwaltungsgebühr von 51,13 Euro im Semester sichtbar. Das Geld hat die Universität zwar bekommen, gleichzeitig hat das Wissenschaftsministerium genau die gleiche Summe den Unis wieder weggestrichen. Sollten die Gebühren den Hochschulen irgendwann tatsächlich zugute kommen, würden wir eine andere Situation vorfinden, über die man reden müsste. Aber es kann nicht sein, dass die Studierenden über Umwege den Haushalt des Landes stopfen. Zudem stellen Studiengebühren sozusagen eine soziale Zugangsbeschränkung dar. Das ist falsch: nicht das Portemonnaie sondern die Qualifikation der Studierenden muss entscheiden. Mit Studiengebühren wird guten Schülern, die das Geld nicht haben, die Möglichkeit zum Studium verbaut. Sollte das BAföG, das seit 1970 stagniert, wieder aufgestockt werden, wäre dies eine erste Verbesserung. Die Uni Potsdam ist 1991 mit dem Vorsatz an den Start gegangen am Ende 263 Professorenstellen zu haben. Heute gehen die Planungen von „mindestens 190“ Stellen aus, Brandenburg hat demnach Kürzungen wie sie jetzt in Berlin anstehen schon hinter sich. Vor allen Dingen, da die Uni Anfangs für 8000 bis 10 000 Studierende geplant war, und nicht für 16 500, wie wir sie jetzt haben. Darin ist eine weitere Verschlechterung des Verhältnisses von Professoren zu Studierenden angelegt. Die Studierendenzahl der Uni steigt weiter, mancher spricht schon von einer „Massenuni“. Wie sieht das der AStA? Es war bezeichnend, dass ein globaler NC eingeführt werden musste, um eine Überschwemmung der Uni zu vermeiden. Es gab 20 000 Bewerbungen für ungefähr 3000 Plätze. Ohne NC hätte sich die Zahl der Studierenden in einem Semester somit verdoppelt, ohne die dazu nötigen Kapazitäten bereitstellen zu können. Kritisch sehen wir, dass die 3500 neuen Studienplätze, die das Ministerium dem Land versprochen hat, nicht nach Bedarf verteilt werden. Das Land kürzt auch die Mittel für das Studentenwerk. 2003 wurde eine Millionen dadurch gespart, im kommenden Jahr wird es ebenso aussehen. Ungefähr die Hälfte davon betrifft Potsdam. Dagegen haben wir mit einer Protestwoche gekämpft und 5000 Unterschriften gesammelt. Das geht auf Kosten der sozial schwachen Studierende, die „Freitische“ für Studierende in sozialen Notlagen wurden gestrichen, auch der Projektmittelfonds. Im Wintersemester 2004 sollen zudem die Gebühren um 15 Euro steigen. Wenn das Land sagt, es spart nicht bei den Hochschulen, dann darf es auch nicht am Studentenwerk sparen – das ist ein Teil davon. Im kommenden Jahr startet in Brandenburg das Modell der leistungsbezogenen Mittelvergabe für Hochschulen. Ein Schritt nach vorne? Die Universität Potsdam schneidet dabei besser ab als andere Hochschulen, da wir hier eine hohe Frauenquote und eine gute Internationalisierung im Brandenburger Vergleich haben. Auch für den Wettbewerb der Hochschulen untereinander kann das ein Signal sein. Die Unis dürfen sich nicht länger auf ihren festen Mitteln ausruhen. Wir haben das interne Mittelverteilungsmodell der Uni Potsdam aber abgelehnt, bei dem das Geld von der Lehre zur Forschung abwandert. Dadurch würde ein schnelles Studium gefordert, bei dem der Studierende kaum Raum hat, sich breiter zu bilden. Das neue Brandenburgische Hochschulgesetz das derzeit die Gremien passiert, sieht auch vor dass die Hochschulen sich ihre Studierenden selbst aussuchen können. Ein Weg zur Verbesserung der Lehre? Wir sehen das kritisch, weil die Kriterien für die Prüfungen nicht klar geregelt sind. Der Gesetzestext ist ein Einfallstor für subjektive Bewertungen. Wenn man ein Gremium schafft, durch das auch die Studierenden an der Auswahl beteiligt werden, dann kann man nochmal darüber reden. Aber eigentlich ist gegen leistungsbezogene oder qualifikationsbezogene Auswahl nichts einzuwenden. Die Uni hat nichts von einem 1,0-Abiturienten, der nicht studierfähig ist, weil er alles nur auswendig gelernt hat. Wir brauchen Studierende, die mündig, kritikfähig und selbständig sind. Man muss auch sehen, dass die Professoren die Eignungsprüfungen „nebenbei“ machen müssten. Dadurch ginge Zeit für Lehre und Forschung verloren. Was ist derzeit das größte Problem der Uni Potsdam? Sie bekommt zu wenig Geld. Brandenburg spiegelt einen deutschlandweiten Trend wieder: Bildung wird nicht hoch genug eingeschätzt. Bildung ist eine Investition in die Zukunft. Wir haben es mit einem langen Prozess zu tun, was für Politiker sehr schwierig ist, da sie in Legislaturperioden denken und Bildung sich nicht sofort amortisiert. Hier muss ein Umdenken stattfinden, damit für die Hochschulen mehr Geld zur Verfügung steht. Das sichert die Zukunft des Landes. Brandenburg braucht dringend Akademiker, sonst ist es nicht zukunftsfähig. Der AStA hat sich mit den Streikenden in Berlin solidarisiert. Reicht das bei den angesprochenen Problemen im Land aus? Solidarisierung ist das erste und schnellste was man machen kann, wenn man nicht direkt von Kürzungen betroffen ist. Die Studierendenschaft planen zur Zeit in Arbeitsgruppen für die kommenden Wochen Aktionen gegen die Missstände. Unter anderem eine, bei der auf das Raumproblem an der Uni Potsdam hingewiesen werden soll. Wir versuchen auch die Potsdamer Studierenden für den 13. Dezember zu mobilisieren, dem deutschlandweiten Demonstrationstag in Frankfurt/Main, Leipzig und Berlin. Von Vorteil ist, dass bis zu 60 Prozent der Potsdamer Studierenden in Berlin leben, die brauchen dann nur vor die Haustür zu gehen, um zu protestieren. Seit dem letzten Studentenstreik in Potsdam 1997 heißt es, die Potsdamer Studierenden seien eher streikmüde und würden sich kaum engagieren. Potsdam hat durchaus das Problem, dass sehr viele seiner Studierenden in Berlin leben. Das macht Aktionen in der Stadt schwierig, viele fahren nach den Seminaren lieber nach Hause. Diese Situation ist so, wir versuchen aber dennoch das Mögliche, um auf die jetzige Situation auch langfristig aufmerksam zu machen, und so das Bewusstsein für die Probleme vor Ort zu schärfen. Das Gespräch führte Jan Kixmüller. Vollversammlung zum deutschlandweiten Demonstrationstag: 10. Dezember um 15 Uhr im Audimax der Universität Potsdam.

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