Homepage: „Wir müssen auch das Undenkbare denken“ Prof. Rolf Emmermann geht im Juni nach 15 Jahren als GFZ-Chef in den Ruhestand. Ein Gespräch über das komplexe Erdsystem
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 vom Tsunami im Indischen Ozean hörten?Bei uns war es etwa um zwei Uhr nachts, als sich das verheerende Seebeben vor Sumatra ereignete.
Stand:
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 vom Tsunami im Indischen Ozean hörten?
Bei uns war es etwa um zwei Uhr nachts, als sich das verheerende Seebeben vor Sumatra ereignete. Wir haben ein weltweites Erdbeben-Beobachtungsnetz, das alle Beben registriert und die Daten automatisch sehr rasch auswertet. Bei Starkbeben erhalten die Experten am GFZ sofort eine Information. Es war deshalb am nächsten Morgen bereits klar, dass das ein Riesenereignis war. Die Medien sprachen anfangs noch von zehn oder hundert Toten, was am Ende über 220 000 wurden. Bei der Stärke des Bebens hatten wir das schon früh geahnt.
Zu welchem Ergebnis kamen Sie?
Wissenschaft hat immer auch die Aufgabe, das Undenkbare zu denken. Wir hätten eine solche Katastrophe deshalb erwarten müssen. Es war bekannt, dass es im Indischen Ozean 1883 nach der Explosion des Vulkans Krakatau einen Riesentsunami mit vielen Toten gab. Leider wartet man immer erst, bis sich eine Katastrophe ereignet, um dann zu überlegen, was an Vorbeugung möglich ist. Dazu haben wir in der Helmholtz-Gemeinschaft eine Arbeitsgruppe Katastrophenvorsorge etabliert, die ich heute noch leite.
Wann hat Ihr Interesse für die Geowissenschaften begonnen?
Schon als Kind. Mein Vater war bei der Preussag, dem damaligen großen Energiekonzern in Hannover. So wurde mein Interesse geweckt, Wissenschaft damit zu verbinden, die Erde kennen zu lernen. Direkt nach dem Abitur habe ich Geowissenschaften studiert, wobei die Frage der Rohstoffversorgung – Erdöl, Erdgas – immer ein wichtiger Aspekt war.
Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Mein Vater war Ingenieur. Bei uns waren oft Leute zu Gast, die als Geophysiker in aller Welt tätig waren, etwa gerade aus Afrika oder Südamerika zurückkamen und von ihren Erlebnissen bei der Suche nach neuen Erdölfeldern berichteten. Das war spannend.
Sie haben also ihren Traumberuf ergriffen.
Das war von Beginn an so. Ich habe Ende der 60er Jahre das Fach Geochemie an der Uni Karlsruhe mit aufgebaut. Die Anwendung der Chemie auf die Geowissenschaften, das betrifft mineralische Lagerstätten, die Zusammensetzung der Gesteine, Energierohstoffe und alles, was damit zusammenhängt. Ich bin in ein völlig neues Arbeitsgebiet hineingekommen, das sich gerade erst entwickelt hat.
Die Prognosen des Club of Rome zur Endlichkeit der Rohstoffreserven dürften Ihnen damals nicht entgangen sein.
Damit habe ich mich intensiv beschäftigt. Ich stand den Aussagen aber schon damals skeptisch gegenüber. Diese ganzen Vorhersagen beruhen ja auf statischen Annahmen, dass es so weitergeht wie bisher.
Was machte Sie skeptisch?
Ein schönes Beispiel sind die Kupferlagerstätten. In Lehrbüchern von 1920 kann man etwa lesen, dass die Kupfervorräte in etwa 50 Jahren erschöpft sind. Wenn man 50 Jahre später nachschaut, liest man das Gleiche, nur sind die Reserven unterdessen größer geworden. Denn es wurden immer neue Lagerstättentypen aufgetan, neue Technologien eingesetzt und die Ausbeutung verbessert. Dann kamen noch der Einsatz von Ersatzrohstoffen und Recycling hinzu. Was mineralische Rohstoffe betrifft, werden wir, wenn wir genügend investieren, trotz weltweiten Wachstums vorerst keine Engpässe bekommen.
Und die Energierohstoffe?
Beim Erdöl und Erdgas gehen die Ressourcen in absehbarer Zeit tatsächlich zu Ende. In etwa 100 bis 150 Jahren kommen wir beim Öl an eine Grenze, beim Erdgas wird es etwas länger dauern, und Kohle ist noch über einige Jahrhunderte verfügbar. Die Frage ist, ob es alternative Lagerstätten gibt. Jetzt werden beispielsweise in Kanada Teersande abgebaut, das habe ich schon früh als Option angesehen. Damals konnte sich jedoch noch niemand vorstellen, aus dem schmierigen schwarzen Zeug einmal Erdöl zu gewinnen.
Bleibt die problematische Beziehung von Kohlendioxid und Klima. Gesucht werden nun Alternativen. Das GFZ hat Antworten.
Die Nutzung der Geothermie, also von Erdwärme, kann eine Antwort sein. Wir stehen in Deutschland dabei vor einem Durchbruch. Erdwärme ist eine Energiequelle, die umweltfreundlich, krisensicher und unerschöpflich ist. Wenn es gelingt, sie ökonomisch vertretbar zu nutzen, könnte die Geothermie in den kommenden Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zum Energiemix leisten.
Wie tief muss man dabei bohren?
Unser Demonstrationsprojekt in Groß Schönebeck besteht aus zwei Bohrungen von rund 4 300 Metern. Aus einer Bohrung wird das 150 Grad heiße Wasser gefördert, in einem Kraftwerk an der Erdoberfläche dann die Wärmeenergie in Strom umgewandelt und das abgekühlte Wasser in einer zweiten Bohrung wieder in den Untergrund zurückgebracht. So soll ohne Beeinträchtigung der Umwelt ein langfristiger Kreislauf entstehen.
Das GFZ verbannt auch den Klimakiller CO2 unter die Erde.
Wenn man Kohlendioxid-Ausstoß bei der Nutzung fossiler Energieträger vermeiden will, hat man nicht viele Optionen. Allerdings ist die unterirdische Lagerung von Kohlendioxid keine elegante Technologie. Ich sehe darin nur eine Übergangslösung, bis andere Energiequellen zur Verfügung stehen. Wir erforschen in Ketzin, ob die Lagerung überhaupt funktioniert, wie sicher und teuer sie ist und ob die Bevölkerung diese Technologie akzeptiert. Auch die Abtrennung von CO2 aus Kraftwerken ist noch in der Versuchsphase und wird frühestens 2015 in großem Stil technisch realisierbar sein.
Welche Alternativen sehen Sie?
Eine zukünftige Energiequelle könnte die Kernfusion sein, die die Prozesse in der Sonne nachahmt. Wenn das technologisch umsetzbar ist und Materialien gefunden sind, die diese Prozesse beherrschen können, stellt Kernfusion eine Option für die Zukunft dar. Das braucht aber vielleicht noch 50 Jahre oder mehr. Die Frage ist deshalb, was man in der Übergangszeit macht. Daher ist auch die Untergrund-Speicherung von CO2 ein Thema, da ich nicht sehe, dass fossile Energieträger in den nächsten Jahrzehnten vollständig durch erneuerbare Energien zu ersetzen sind.
Die Erde ist immer in Bewegung. Sie haben wiederholt vor einem Starkbeben im Kölner Raum gewarnt. Eine ernst zu nehmende Gefahr?
Die Entstehung des Oberrheingrabens war immer schon von Erdbeben begleitet. 1356 wurde Basel komplett zerstört. Es muss ein gewaltiges Beben gewesen sein. Noch heute ist man dort auf Notfälle vorbereitet. Erdbeben können jederzeit in Süddeutschland und auch im Aachen-Kölner Raum auftreten. Die Situation ist vergleichbar mit dem Elbehochwasser 2002, das Schäden von über zehn Milliarden Euro zur Folge hatte. Bis ein derartiges Extremereignis passiert, hält man es nicht für möglich und spricht dann von einem Jahrtausendhochwasser. Daher muss man Vorsorge treffen. Etwa im Gebiet des Rheins erdbebensicher bauen, auch in Köln. Die zentrale Frage ist dabei, was wir bereit sind, für die Vorsorge zu investieren, und welches Restrisiko wir tragen wollen. Was den Kölner Raum betrifft, ein dicht besiedeltes Gebiet mit verwundbarer Infrastruktur und vielen Wirtschaftsunternehmen bis hin zu Bayer Leverkusen, haben wir ein Szenario durchgespielt, um zu sehen, was bei einem Beben der Stärke 6 passieren könnte.
Und?
Ein derartiges Beben hätte verheerende Schäden zur Folge, die sich schnell auf zehn Milliarden Euro oder mehr belaufen könnten. Man kann auch fragen, was die Knackpunkte sind, wie erdbebensicher etwa die Rheinbrücken sind, welche Rettungswege betroffen werden und wo die Krankenhäuser liegen.
Wie sicher sind die Brücken bei Stärke 6?
Nach unseren Simulationen würde die eine oder andere Rheinbrücke zusammenfallen. Wir haben deshalb auch geprüft, durch welche Ingenieurmaßnahmen eine Verstärkung der Bauten erreicht werden kann. Am Ende sind natürlich die Kommunen und Städte gefragt, ob sie bereit sind zu investieren, oder das Restrisiko für ein „Jahrtausend“-Beben zu tragen.
Das GFZ errichtet federführend im Indischen Ozean ein Tsunami-Warnsystem. Die nächste gefährliche Flutwelle könnte aber ganz woanders stattfinden.
In der Tat, etwa im Mittelmeer. Auch dort wird dringend ein solches Warnsystem benötigt. Es gab im Mittelmeer immer Tsunamis, auch verheerende. Als die Vulkaninsel Santorin explodierte, wurden die minoische Kultur auf Kreta vernichtet und Teile Ägyptens überschwemmt. Wir werden unsere Erfahrungen vom Indischen Ozean mit Partnern in Europa auch auf das Mittelmeer und den europäischen Teil des Atlantiks ausweiten, wo 1755 Lissabon von einem gewaltigen Tsunami betroffen war.
Wo könnte es als nächstes kritisch werden?
Ich war gerade in Istanbul bei einem GFZ-Projekt. Südlich der Stadt verläuft durch das Marmarameer eine große Störungszone. Das letzte große Erdbeben von 1999 hat den Ostrand des Marmarameers erreicht. Das nächste große Beben wird sich mit Sicherheit in der westlichen Fortsetzung ereignen. Das kann man aus der Umlagerung der mechanischen Spannungen vorhersagen und auch aus der Tatsache, dass in diesem Bereich lange kein starkes Erdbeben stattgefunden hat. Hier haben sich große mechanische Spannungen akkumuliert. Unser Ziel ist es, für derartige Ereignisse eine Frühwarnung zu schaffen. Zur Vorsorge gehört auch, wie man in Istanbul selbst, das jährlich um 300 000 Einwohner wächst, erdbebensicher bauen kann.
Bleibt Katastrophen-Vorsorge nicht immer nur Stückwerk?
Wir machen kein Stückwerk. Unsere Vision sind erdumspannende Überwachungs- und Frühwarnsysteme. Davon sind wir gar nicht so weit entfernt. Bereits in den 90er Jahren wurde am GFZ das Konzept für niedrig fliegende Satelliten zur Erdbeobachtung entwickelt. Heute haben wir mit unserem Hauptpartner, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, eine internationale Führungsposition auf diesem Gebiet und sind in der Lage, das System Erde hochaufgelöst zu beobachten. Hier geht die Entwicklung rasch voran. Wir wollen in absehbarer Zeit preisgünstige Satelliten so platzieren, dass wir beispielsweise die gesamte Oberfläche der Ozeane beobachten können. Dazu haben wir eine eigene Methode entwickelt, die GPS-Reflektometrie, mit der man den Seegang, Taifune oder Monsterwellen, aber natürlich auch Tsunamis, in Echtzeit beobachten kann.
Was ist derzeit die größte Herausforderung für die Geowissenschaften?
Nachhaltigkeit in Bezug auf das System Erde zu schaffen. Dabei hängt die Klimaentwicklung mit der Frage der zukünftigen Energienutzung und der Energieressourcen eng zusammen. Die Entwicklung neuer Technologien ist ein wichtiger Punkt, aber der entscheidende Faktor ist der Mensch selbst. Das Bevölkerungswachstum entwickelt sich exponentiell, in den kommenden 30, 40 Jahren werden über acht Milliarden Menschen auf unserem Planeten leben. Das zu begrenzen, müssten die Menschen selbst schaffen.
Einige Städte wachsen ins Uferlose.
Eine wichtige neue Entwicklung ist die Bildung von Mega-Citys: der Trend der Menschheit, sich in großen Ballungszentren zu konzentrieren, merkwürdigerweise meist in Gebieten, die auch häufig von Naturkatastrophen betroffen sind. Diese Thematik kommt zusätzlich auf uns zu. Sie wird unsere jetzigen Umwelt- und Klimaprobleme noch durch zusätzliche soziale, politische und auch medizinische Probleme überlagern. Die Erde ist ein außerordentlich komplexes System, in das der Mensch zunehmend eingreift. Wie sich das auswirkt, ist noch kaum verstanden. Ich sehe die Gefahr, dass wir uns auf ein sehr wichtiges Thema, den Klimawandel, zu stark fixieren und dabei die Forschung an den anderen zentralen Zukunftsthemen vernachlässigen.
An der Erfolgsgeschichte des GFZ haben Sie nicht unwesentlich mitgewirkt.
Wir sind heute das nationale Forschungszentrum für Geowissenschaften in Deutschland. Mit seinem Konzept und seinen Arbeiten wird das GFZ in Europa und international als beispielgebend betrachtet. Wir gelten weltweit als eines der führenden Institute auf unserem Gebiet. Es war natürlich ein besonderer Glücksfall, eine Einrichtung von Null an aufzubauen. Es waren keine verfestigten Strukturen und alten Zöpfe zu überwinden. Natürlich ist diese Arbeit ein Gemeinschaftswerk. Auch war von Beginn an die finanzielle Unterstützung durch Bund und Land ausreichend gegeben.
Der Telegrafenberg hat zwar keinen vulkanischen Ursprung. Doch war es sicherlich ein Privileg, hier arbeiten zu dürfen.
Auf jeden Fall. Der Telegrafenberg ist ein fantastisches Gelände. Hier wurde Wissenschaftsgeschichte geschrieben, nicht nur in der Astrophysik und Meteorologie, sondern auch in den Geowissenschaften. Außerdem arbeiten wir dicht am Stadtzentrum. Unsere Gäste beneiden uns um diesen Ort.
Die Umgebung hat sich zur Wissenschaftsregion entwickelt.
Die Verbindung zur Universität Potsdam war von Beginn an sehr eng wie auch bei anderen Disziplinen, etwa der Astrophysik oder der Ernährungsforschung. Die dichte Ansiedlung von Forschungseinrichtungen finde ich heute im Rückblick richtig. Für Brandenburg hat dies neben Berlin die Perspektive eröffnet, langfristig auch die Wirtschaft anzuziehen. Allmählich werden nun die Potenziale hier erkannt. In und um Potsdam ist etwas Einzigartiges entstanden. Und in der Fläche Brandenburgs sind vor allem die Fachhochschulen eine große Stütze. Es gilt vor allem, den jungen Menschen hier im Land eine qualifizierte Ausbildung und attraktive berufliche Perspektiven zu geben, damit sie nicht weiter abwandern.
Welche Zukunftstechnologien sind denkbar?
Wir wollen hier in Potsdam beispielsweise ein Zentrum für Galileo-Hochpräzisionsprodukte aufbauen. Das europäische Galileo-Satellitennavigationssystem soll einmal die Alternative zum amerikanischen GPS werden. In Potsdam und Neustrelitz soll ein Zentrum entstehen, das die von den 30 zukünftigen Galileo-Satelliten gelieferten Daten aufbereitet und so „veredelt“, dass beispielsweise Positionsmessungen mit Zentimeter- und Millimeter-Genauigkeit möglich sind.
Sie leben in Caputh. Werden Sie im Ruhestand abwandern, etwa am Ätna eine seismische Station aufbauen?
Nein, ich bleibe mit meiner Frau hier. Wir haben in Caputh gebaut, und Potsdam ist äußerst attraktiv, allein schon durch die Nähe zu Berlin. Auch gefällt mir die Landschaft und die Umgebung sehr. Vielleicht gibt es ja auch noch das eine oder andere Nützliche für die Forschung zu erledigen – ohne den Stress eines Managers.
Also kein Ruhestand im Ruhestand?
Ich hoffe, es wird Ruhestand geben. Aber ich bin ja weiterhin Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, bei acatech und in einer Reihe von Organisationen und Gremien. Wenn man nicht mehr im aktuellen Tagesstress steht, wird man besser Schwerpunkte setzen können.
Das GFZ wissen Sie in guten Händen?
Davon bin ich überzeugt. Mein Nachfolger, Prof. Reinhard Hüttl von der BTU Cottbus, wurde in allen zuständigen Gremien einstimmig benannt. Er ist auch der Wunschkandidat des GFZ. Er hat große Erfahrungen bei Forschungsnetzwerken und in Fragen der Umwelt- und Energieforschung. Er kann deshalb das GFZ für neue Themen öffnen.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
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