Hilfsorganisation "Jugend rettet" aus Berlin und Potsdam: „Wir mussten 700 Menschen zurücklassen“
Julian Pahlke von der Berlin-Potsdamer Hilfsorganisation "Jugend rettet" war bei der dramatischen Rettung von Flüchtlingen dabei, bei der die Iuventa in Seenot geriet. Er spricht im PNN-Interview darüber, was dort passiert ist.
Stand:
Herr Pahlke, Sie waren dabei, als die Hilfsorganisation „Jugend Rettet“ vor einigen Tagen mit ihrem Schiff in Seenot geriet. Der Grund war schlechtes Wetter, aber auch, dass am Osterwochenende Tausende Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet werden mussten. Warum gerade jetzt?
Das lag daran, dass es zuvor eine lange Schlechtwetterperiode gab. In jenen Tagen hatte sich das Wetter beruhigt und viele Menschen sind gleichzeitig von der libyschen Küste aus Richtung Norden gestartet. Wir hatten schon in den Tagen davor Hunderte Menschen gerettet. Außer uns waren noch zwei andere Hilfsorganisationen im Einsatzgebiet unterwegs, doch auch sie haben wie wir vergleichsweise kleine Schiffe. Es gab von vornherein zu wenig Hilfe vor Ort.
Richtig kritisch wurde es dann in der Nacht zu Sonntag.
In der Nacht hatten wir schon rund 250 Menschen von Schlauchbooten gerettet und auf der Iuventa aufgenommen. Dann tauchte aus dem Nichts plötzlich ein unbeleuchtetes Holzboot auf, das versuchte, parallel zur Iuventa anzulegen. Unser Kapitän konnte gerade noch ausweichen, sonst wäre es zur Kollision gekommen. Ungefähr 50 Menschen sind von diesem Holzboot ins Wasser gesprungen und zu uns geschwommen, natürlich haben wir ihnen nach oben geholfen. Doch damit waren wir schlagartig überfüllt.
Was ist mit den anderen Menschen auf dem Holzboot passiert?
Die ungefähr 700 Flüchtlinge, die noch an Bord des Holzbootes waren, konnten wir nicht mehr aufnehmen. Wir waren wie gesagt voll und außerdem war schlechtes Wetter vorhergesagt, was den Aufenthalt an Deck wirklich gefährlich machte. Das Schlimme war, dass wir nicht nur die Menschen auf dem Holzboot nicht aufnehmen konnten, sondern noch fünf bis sieben voll besetzte Schlauchboote um uns herum trieben – teils in Sichtweite. Wir haben deshalb die Seenotrettungsleitstelle in Rom kontaktiert und sie gebeten, uns Unterstützung zu schicken. Doch alle Schiffe, die auf dem Weg zu uns waren, trafen selbst auf überfüllte Schlauchboote mit Flüchtlingen. Dadurch wurden andere Menschen gerettet, das ist gut. Aber unsere Lage wurde immer kritischer.
Deshalb hat die Crew irgendwann das Notsignal Mayday nach Rom geschickt?
Ja, dazu haben wir uns am Sonntagmittag entschieden. Das ist das letzte Mittel, das man als Seemann noch hat.
Hat es gewirkt?
Zunächst war es weiterhin so, dass die Schiffe nicht zu uns durchdrangen, weil sie weiterhin auf andere Menschen in Seenot trafen. Weil das Wetter mittlerweile sehr schlecht war und Wind mit Windstärke sechs bis sieben herrschte, mussten wir nordwärts fahren, gegen die Wellen.
Das heißt, die Menschen auf dem Holzboot und den anderen Schlauchbooten mussten Sie zurücklassen?
Das mussten wir, ja. Vorher haben wir alle Rettungswesten, die wir noch hatten, von Bord gebracht, genauso wie all unsere Rettungsinseln und zwei 16 Meter lange Rettungsschläuche, an denen sich die Menschen festhalten können, falls ihr Boot sinkt.
Und wie war die Stimmung auf der Iuventa? Kam nicht irgendwann Panik auf, als keine Hilfe kam und das Wetter schlechter wurde?
Als das Holzboot auf einmal auftauchte und Menschen an Deck drängten, war die Stimmung tatsächlich kurzzeitig relativ aufgeregt. Als wir dann bei Wind und Wetter viele Stunden lang nordwärts fahren mussten, haben sich aber alle ziemlich tapfer geschlagen – obwohl nicht alle unter Deck sein konnten – bei drei Meter hohen Wellen und Wind ist die Gischt an Deck sehr unangenehm und kann auch gefährlich sein. Glücklicherweise hatten wir für alle genug Rettungsdecken, Essen und Wasser dabei.
Waren zu dem Zeitpunkt auch Familien mit Kindern an Bord?
Kinder nicht, nein. Aber insgesamt sieben schwangere Frauen. Bis auf zwei schwangere Frauen, die nach über 30 Stunden bei uns an Bord instabil wurden, ist aber alles gut gegangen soweit.
Irgendwann ist ein Schiff zur Iuventa durchgedrungen?
Ja, irgendwann kam aus Rom dann ein 250 Meter langer Tanker, der uns Wind- und Wellenschatten gegeben hat. Mit seiner Unterstützung konnten wir dann weiterfahren und die Flüchtlinge an einem vereinbarten Punkt an die Vos Hestia übergeben, die für Save The Children unterwegs ist.
Wurde die Mission danach noch fortgesetzt?
Nein, wir haben abgebrochen, zwei Tage früher als geplant. Nach den Ereignissen brauchte die 14-köpfige Crew eine Pause, außerdem hatten wir auch gar kein Material mehr – wie Rettungswesten – an Bord. Jetzt sind wir in Malta, wo die Lager aufgefüllt und kleine Schäden am Schiff repariert werden. Am Montag startet die nächste Mission – mit einer neuen Crew.
Die Fragen stellte Katharina Wiechers
ZUR PERSON: Julian Pahlke (25) war zum zweiten Mal an Bord. Er fährt eins der Schnellboote, mit denen die Flüchtlingsboote zuerst angesteuert werden. Pahlke arbeitet freiberuflich in einer Werbeagentur.
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