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Mittendrin. Andreas Dresen (r.) – hier mit Kameramann Michael Hammon – wurde 1963 in Gera geboren. Der Regisseur lebt in Potsdam und ist seit 2012 Laienrichter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: „Wir mussten uns nicht verbiegen“

Andreas Dresen ist einer der bekanntesten Absolventen der HFF. Er besuchte sie während der Wendezeit

Stand:

Die Filmuniversität Potsdam wird in diesem Jahr 60 Jahre alt. Als Hochschule für Film und Fernsehen HFF hat sie Jahrzehnte des Filmschaffens in Babelsberg mitgeprägt. Ehemalige Studierende erinnern sich nun in den PNN an ihre Studienzeit.

Herr Dresen, was fällt Ihnen als erstes aus ihrer Studienzeit ein?

Lothar Bisky. Er war die prägende Person in meiner HFF-Zeit 1986 bis 1991. Bisky hat damals frischen Wind in die Schule gebracht, im Sinne von Glasnost und Perestroika. Es war die Öffnung der Hochschule nach innen und außen. Nach innen, weil die Studierenden die Möglichkeit bekamen, auch Stoffe zu verfilmen, die vorher undenkbar waren. Bisky hat sich dabei schützend vor uns gestellt. Nach außen insofern, dass es plötzlich verstärkt Kontakte zu Hochschulen in Westeuropa gab, Studenten plötzlich reisen konnten und internationale Gäste nach Babelsberg kamen. Eine schöne Zeit, weil es möglich war, durch die Schule zu kommen, ohne sich das Rückgrat zu verbiegen.

War die Wendezeit an der HFF schon spürbar?

Sehr deutlich. Wir Studenten haben den Raum, den Bisky geöffnet hatte, dankend genutzt. Das führte zu Filmen, die für die Schule damals neu waren. Es gab dann aber auch entsprechend Ärger.

Zum Beispiel?

Es gab Diskussionen über Filme von Andreas Kleinert und Andreas Voigt. Schwierigkeiten gab es auch mit einem Film von Bernd Sahling über einen Punk, der das Land verlassen wollte. Die meisten Studenten fühlten sich eben ermutigt, über die Realität in der DDR zu erzählen.

Sie hatten auch Schwierigkeiten?

Mit dem kleinen Dokumentarfilm „Was jeder muss...“ über einen jungen Mann, der bei der NVA seinen Grundwehrdienst leisten musste. Das sah natürlich nicht sehr rosig aus. Wir haben versucht, es realistisch darzustellen. Gemeinsam mit anderen kritischen Filmen meiner Kommilitonen wurde er im Herbst 1988 bei der Dokumentarfilmwoche in Neubrandenburg uraufgeführt. Es gab einen Eklat, wir wurden zum Teil sogar beschimpft. Mir hat man Wehrkraftzersetzung vorgeworfen und ich war vollkommen überrascht, hielt den Film für harmlos. Es gab keine geballte Systemkritik, gezeigt wurde doch nur ein Stückchen Realität. Ich hatte das keineswegs als mutig empfunden.

Wo lag das Problem?

Wir hatten zum Beispiel das Einstudieren des Fahneneids gezeigt. Der Offizier steht vorne und sagt immer nur: „Lauter, lauter, noch lauter; einheitlicher, noch mal.“ Immer wieder die gleiche Schleife. Das kam natürlich recht absurd rüber und erregte Anstoß.

Was waren die Folgen?

Es gab immer größere Schwierigkeiten, den Film aufzuführen. Bisky wollte sogar so weit gehen, ihn zur Dokumentarfilmwoche in Leipzig zu zeigen. Wir haben den Film dann aber zurückgezogen, um Bisky zu schützen. Wir wollten ja nicht unseren Rektor verlieren! Im Januar 1989 war der Ärger dann schließlich so groß, dass wir den Film gar nicht mehr zeigen konnten. Bisky bat mich in sein Büro und sagte mir, wir sollen so weitermachen, er könne sich nichts Besseres vorstellen, als dass seine Studenten Filme machen, die bis in die höchsten Kreise des Politbüros Aufsehen erregen. Ein ermutigendes Verbot also. Ich selbst habe von dem ganzen Ärger wenig mitbekommen, Lothar Bisky hat das alles alleine ausgestanden und keine großen Worte darüber verloren. Wenn er sich nicht für uns eingesetzt hätte, hätten wir nicht weiterstudieren dürfen.

Ihr schönstes Erlebnis aus der Zeit?

Das Aufgehobensein in einer Gruppe mit einem gemeinsamen politischen Willen. Es gab damals an der HFF ein sehr starkes Wir-Gefühl. Das hatte ich von einer Kunsthochschule nicht erwartet, wo doch eigentlich jeder der Beste sein will. Es war natürlich auch eine sehr lustige Zeit, vor allem die Feiern im Studentenklub „Bratpfanne“. Die ganze Schule war sehr klein und intim. Sie lag ja damals noch dezentral in verschiedenen Babelsberger Villen.

Gibt es eine Kontinuität von ihrem NVA-Film bis zu aktuellen Produktionen?

Durchaus. Ich hole mir die Anregung aus der Realität. Auch war die Ausbildung an der HFF immer sehr solide. Filmarbeit sollte in erster Linie Handwerk sein, der Rest durch die eigene Individualität ausgefüllt werden. Mir hat die gute handwerkliche Ausbildung nach der Wende sehr geholfen. So war ich in der Lage, etwa in 24 Tagen einen Fernsehfilm zu drehen. Schwierig war dann aber, seinen eigenen Weg zu finden. Gefehlt hat an der HFF, dass man einen Impuls bekam, auch mal etwas anderes auszuprobieren. Wir waren in einer recht klassischen Art von Erzähltechnik befangen. Dass es tausend andere Möglichkeiten gibt, habe ich erst später in der Praxis realisiert.

Wie erlebten Sie die Wende an der HFF?

Wir haben alle versucht zu drehen, zu dokumentieren. Ein starker Eindruck, einen so umfassenden gesellschaftlichen Umbruch in so einem Mikrokosmos zu erleben. Ich habe später den Film „Stilles Land“ gemacht, da ist viel aus der Zeit eingeflossen. Etwa, wie wir in der vollen Kantine der HFF sitzen, im September '89. Jemand kommt an unseren Tisch, legt einen Zettel hin und sagt: „Lies dir das mal durch, das kannst du unterschreiben.“ Es war der Gründungsaufruf vom Neuen Forum. Wir saßen zu viert an dem Sprelakat-Tisch und sind innerlich erblasst. Einerseits wusste man, dass man das unterschrieben muss, andererseits wusste man auch, dass dann das Studium vorbei sein konnte. Letztlich haben wir alle unterschrieben. Wir dachten uns, alle können sie ja nicht rausschmeißen. Man schützte sich in der Gruppe. Man wurde plötzlich mit den eigenen kleinen Ängsten konfrontiert und hat dann in der Gruppe doch etwas gemacht. Es ist sehr lehrreich, sich selbst in solchen Umbruchsituationen zu erleben.

Die Fragen stellte Jan Kixmüller

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