
© H. v. Schimmer
Führung über Alten Friedhof in Potsdam: „Wir sollten mehr auf Friedhöfe gehen“
Die Kulturwissenschaftlerin Anja Kretschmer bietet unterhaltsame Friedhofsführungen an – und ist jetzt auch in Potsdam zu erleben. Im PNN-Interview spricht sie über Rituale und berührende Momente.
Stand:
Frau Kretschmer, eine Führung auf einem Friedhof – geht das einfach so?
Das muss man natürlich bei der Friedhofsverwaltung beantragen. Wenn ich dort mein Konzept vorstelle, sind die meisten sehr offen und sagen sofort zu.
Wie war das in Potsdam?
Herr Butzmann, der Friedhofsleiter, war sofort begeistert, er fand das sehr spannend. Er bietet ja selber Führungen an, andere natürlich.
Wie wählen Sie den passenden Friedhof aus?
Durch meine wissenschaftliche Arbeit kenne ich viele Friedhöfe. Oder ich schaue mir die Pläne an. Der Alte Friedhof in Potsdam ist gut geeignet. Dort gibt es kaum neue Gräber. Ich habe es nicht so gern, wenn man über frische Gräber läuft.
Was passiert denn bei Ihren Führungen?
Als „Schwarze Witwe“ erzähle ich, wie ich gerade meinen Mann beerdigt habe, gebe dazu den einen oder anderen praktischen Tipp, manches auch ein bisschen frivol. Aber ich erzähle auch Sagen und Wissenswertes, erkläre, was Totenkronen sind, was es für Rituale gab. Dass früher zum Beispiel ganz oft zur Hochzeit der Tischler bei den Eheleuten Maß nahm, für ihre Särge. Sie waren praktisch die Nächsten in der Reihenfolge. Die Särge wurden dann angefertigt und bis zu deren Tod im Haus, auf dem Dachboden oder in der Scheune aufbewahrt. Diesen Brauch gibt es in manchen Regionen im Ländlichen noch heute.
Heute beschäftigen wir uns zu wenig und zu spät mit dem Tod?
Ja. Der Tod wurde uns mehr und mehr aus der Hand genommen, man stirbt im Pflegeheim oder Krankenhaus und den Rest erledigt der Bestatter. Auch das möchte ich erreichen, dass man mehr darüber nachdenkt. Aber es ist nicht alles ernst bei meinen Führungen. Zur Auflockerung gibt es zum Beispiel eine kleine Interaktion mit den Teilnehmern.
Was machen Sie?
Das wird nicht verraten.
Wer kommt zu Ihnen?
Jugendliche, Studenten, Paare, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Anwohner, die sagen, sie wohnen seit 20 Jahren hier und waren noch nie auf diesem Friedhof.
Ist das Ihr Anliegen, die Menschen auf den Friedhof zu holen?
Ja. Ein Friedhof ist doch viel mehr als ein Ort für eine Bestattung. Er ist Erholungsort, Park, ein Ort der Botanik. Man findet hier die Schicksale einzelner Stadtbewohner – und ganz viel Stadtgeschichte. Ein Friedhof ist ein kleines Museum. Jeder kulturhistorisch Interessierte sollte mehr auf Friedhöfe gehen.
Wie ist das Feedback nach einer Führung?
Grundweg positiv. Die Leute haben ja oft keine Vorstellung, was sie erwartet. Und sind dann überrascht, dass es heiter und locker zugeht. Natürlich nicht pietätlos. Es gibt auch ernste und berührende Momente.
Zum Beispiel?
Einmal erzählten mir Besucher von ihren Geistererscheinungen und wollten wissen, wie sie das deuten sollen, dass ihnen ihre verstorbenen Eltern erscheinen.
Was sagen Sie da?
Dass diese Verstorbenen ihnen wahrscheinlich etwas mitteilen wollen. Und sie dem auf den Grund gehen sollen.
Glauben Sie selber an Geister?
Es gibt viel mehr zwischen Himmel und Erde, als wir uns vorstellen können. Viele Leute erzählen mir von Todesanzeichen, also dass die Uhr stehen blieb in dem Moment, als ein naher und lieber Mensch verstarb. Ich bin solchen Dingen gegenüber ganz offen.
Es muss immer dunkel sein bei der Führung? Sie beginnt ja erst um 22 Uhr.
Es ist ein mystisches Thema, der Tod und alles, was danach kommt, worüber wir nichts wissen. Das passt am besten in diese Uhrzeit, finde ich.
Wie sind Sie selbst auf das Thema gekommen? Sie sind Kunsthistorikerin und unter anderem spezialisiert auf Sepulkralkultur.
Das hat mich immer schon interessiert. Ich war immer gern auf Friedhöfen unterwegs. Bei uns auf dem Dorf war es Tradition, dass man am Sonntag die Gräber pflegte. Und gerade lasse ich mir einen alten Leichenwagen zum Dienstfahrzeug umbauen.
Was halten Sie von anonymer Bestattung?
Das funktioniert meistens nicht. Die Angehörigen brauchen einen Ort zum Trauern. Bei uns an der Ostsee werden oft Seebestattungen gemacht. Die Steine an der Mole werden dann trotzdem wie auf einem Friedhof geschmückt.
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Die Fragen stellte Steffi Pyanoe
Am Freitag, dem 2. Juli, führt Anja Kretschmann über den Alten Friedhof, Heinrich-Mann-Allee 106. Beginn ist um 22 Uhr, die Teilnahme kostet 12 Euro
ZUR PERSON: Anja Kretschmer (35) ist Kulturwissenschaftlerin und wohnt in Rostock. Jetzt bietet sie erstmals in Potsdam eine Friedhofsführung zur Geschichte und Geschichten rund um das Thema Tod.
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