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Landeshauptstadt: „Wir wurden vergessen“
Anwohner der Behlertstraße fürchten noch mehr Lärm und Staub, sollte die Stadtverwaltung ihre Planungen umsetzen, die vielbefahrene Einfallstraße in großem Stil auszubauen
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Innenstadt - Stefan Göttel wischt mit dem Zeigefinger über den Sims seines Küchenfensters. Danach ist der Daumen dreckig. „Staub ist hier eine sogenannte neverending story“, sagt er trocken. Tatsächlich könnte er in seiner Wohnung täglich mehrfach Staub wischen, es käme immer neuer dazu – gerade im Sommer, wenn der 38-Jährige einmal durchlüftet. Doch ist es nicht nur allein der Dreck – seine Fenster kann Göttel auch wegen des Verkehrslärms in der Behlertstraße nicht öffnen, täglich fahren 20 000 Autos an seiner Wohnung vorbei. Und seit dem Wochenende fürchtet der Potsdamer, dass alles noch schlimmer wird.
Denn wie am Samstag berichtet plant die Stadt den Generalausbau der Behlertstraße, die schon jetzt zu den wichtigsten Einfallstraßen der Stadt gehört. Dazu wird gerade ein Bebauungsplan erarbeitet. Demnach soll die Behlertstraße zwischen der Berliner und der Kurfürstenstraße drei- und an manchen Stellen sogar vierspurig ausgebaut werden – neu wäre eine Fahrbahn stadtauswärts, durch die in der benachbarten Hans-Thoma- und der Gutenbergstraße der Verkehr wohl halbiert würde. Dafür würde der Verkehr in der Behlertstraße sich auf 34 000 Autos täglich erhöhen, haben die städtischen Verkehrsplaner errechnet.
Von diesen Plänen hat Pawel Rutkowski – er wohnt im Haus neben Göttel – aus der Zeitung erfahren. Das ärgert ihn besonders. Denn erst Ende April hätten er und andere Anwohner bei den Verantwortlichen im Bauamt nachgefragt, ob es aktuelle Planungen zur Zukunft der Behlertstraße gebe – die Idee des Ausbaus gibt es schließlich in der Stadtverwaltung schon seit Jahren, war aber nie weiter verfolgt worden. Aktuell seien konkrete Planungen nicht bekannt, habe die Antwort aus der Bauverwaltung gelautet. Zudem habe vor zwei Wochen noch eine Infoveranstaltung der Verwaltung zur Zukunft der Gegend stattgefunden, sagt der 38-Jährige – doch die Anwohner aus der Behlertstraße seien dazu nicht eingeladen gewesen. „Wir wurden vergessen.“ Rund 160 Mieter wohnen in der Straße.
Bei ihnen schürt die Informationspolitik der Stadt Argwohn – der bisher nicht zerstreut werden konnte. Auch am Montag konnte ein Stadtsprecher nicht sagen, warum es zu der Bürgerrunde keine Einladungen gab: Wichtige Ansprechpartner seien erst am Dienstag erreichbar. Auch eine detaillierte Karte mit der genauen Planung des Straßenverlaufs konnte die Stadt bislang nicht vorlegen, ebenso wenig einen Zeitplan oder die Finanzierungssumme für das Gesamtprojekt. Denn unter anderem soll die Behlertstraße auch mehr in Richtung des „ComCity“-Geländes verlegt und gestalterisch aufgewertet werden: Jetzt ist die Fahrbahn links und rechts noch begrenzt von grauen Häuserschluchten – auf dem östlichen Teil der Straße aber plant die Stadt sogar den Abriss einzelner Häuser, damit die Luft in der Straße besser zirkulieren kann. Gleichzeitig sollen die Anwohner durch einen verbesserten Verkehrsdurchfluss von Lärm und Staub entlastet werden, argumentiert die Stadt.
Rutkowski glaubt daran nicht. „Wir befürchten, dass es erheblich mehr Stau gibt.“ Denn laut den bekannten Plänen würde es ab der Kreuzung Kurfürstenstraße in Richtung Neuer Garten weiter einspurig bleiben, entsprechend fürchtet er eine „Fast-Autobahn durch die Innenstadt mit abruptem Abschluss“. Stefan Göttel sorgt sich dagegen vor Rückstaus im Berufsverkehr stadtauswärts. „Schon jetzt ist es doch unglaublich laut und dreckig.“ Wahrscheinlich würden einige Anwohner wegziehen – wenn sie es sich in Potsdam denn leisten können.
Stefan Göttel besitzt diese Option nicht. Vor etwa einem Jahr ist er in die der kommunalen Pro Potsdam gehörenden Wohnung eingezogen: Die Miete für sein früheres Zuhause konnte er nach dessen Sanierung nicht mehr bezahlen, er kümmerte sich um einen Wohnberechtigungsschein, das Sozialdezernat der Stadt wies ihm die neue Bleibe zu. „Als selbstständiger Historiker und Sprachenlehrer verdiene ich nicht so viel, dass ich mir anderswo in Potsdam etwas leisten kann.“ Laut Rutkowski geht es vielen Bewohnern der Behlertstraße nicht anders, finanziell seien ihre Möglichkeiten beschränkt. „Wir haben keine Lobby.“ Daher habe sich inzwischen eine Bürgerinitiative gegründet. „Wir wollen, dass die Stadt uns endlich über ihre Planungen informiert und beteiligt.“
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