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Der Historiker Sönke Neitzel über den grundlegenden Unterschied zwischen deutschen und britischen Geheimdiensten
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Die Deutschen können alles außer Intelligenz. So ungefähr lautete die Meinung des britischen Geheimdienstes als dieser einst nach den Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit den Deutschen gefragt wurde. Das Leitbild der Deutschen sei stets der „gute Soldat“ gewesen. Tapfer bis zum Schluss. Nicht aber der raffinierte Spion, erklärt der renommierte Historiker Sönke Neitzel, der seit Herbst 2015 Professor an der Universität Potsdam ist. Dieses Image habe nach dem Ersten Weltkrieg zur Dolchstoßlegende geführt.
Auch heute ist das Bild des Bundesnachrichtendienstes (BND) in der Öffentlichkeit nicht besonders überzeugend. Der Neubau des BND in der Charlottenstraße sieht aus wie eine mit Schießscharten bestückte Festung. Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen verlief der Bau des Gebäudes alles andere als pannenfrei. „Die können nicht einmal ihre eigenen Wasserhähne bewachen, das ist das Bild, das der BND in der Öffentlichkeit bietet“, stellt Neitzel unlängst bei einem Vortrag im Großen Waisenhaus fest. Ob zurecht oder unrecht, jedenfalls sieht es bei den Engländern ganz anders aus.
Historiker Sönke Neitzel hat sich einige Gedanken über das Verhältnis der Deutschen und der Engländer zu ihren Geheimdiensten gemacht und dazu an der Universität geforscht. Er zeigt ein Video, in dem James Bond ganz selbstverständlich unmittelbar zur Queen vorgelassen wird und diese zum Olympiastadion für die Spiele in London im Jahre 2012 begleitet. „Das wäre in Deutschland nie möglich“, kommentiert Neitzel. Schon verwaltungstechnisch nicht, denn der Geheimdienst ist weder dem Präsidenten, noch der Kanzlerin direkt unterstellt, sondern kommuniziert über einen Mittelsmann. Aber auch das nicht sonderlich hohe Sozialprestige der Agenten lässt es Politikern wenig ratsam erscheinen, mit ihnen in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Der einzige deutsche Agent, der es zu einem gewissen Glamourfaktor gebracht habe, sei Markus Wolf, der Leiter der Auslandsaufklärung beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR, gewesen.
Das habe historische Wurzeln, hat Neitzel herausgefunden. Während in England immer ein reger öffentlicher Diskurs über den Geheimdienst, seine Funktion und seine Mitarbeiter stattgefunden habe, fehle es in Deutschland völlig an der öffentlichen Wahrnehmung. Zahlreiche erfolgreiche Schriftsteller, die mit Agentenromanen in die zunächst englische Öffentlichkeit getreten sind, stammten selbst aus dem Milieu.
Ian Fleming, der Mann, der James Bond erfand, arbeitete lange Jahre für den Marine Nachrichtendienst und kannte die Schlichen der Schlapphüte bis ins Detail. Auch Graham Greene und zahlreiche andere Literaten waren Geheimdienstler. In der Zeit zwischen 1919 und 1939 hat Neitzel 41 Autoren ausgemacht, die aus dem Dunkel des Dienstes in die Literatur gewechselt sind. In Deutschland waren es in der gleichen Zeit gerade vier Schriftsteller.
„Die Engländer haben eine ganz andere Kultur, sie arbeiten viel mehr zusammen“, so Neitzel. Trete ein geheimdienstliches Problem auf, werde erst einmal ein Komitee gegründet und alles von verschiedenen Seiten betrachtet, besprochen und dann an die höhere Stelle weitergeleitet. So bestehe die Chance, dass relevantes Wissen zu den Stellen gelange, die mit der Information etwas anfangen könnten. In Deutschland herrsche dagegen eher eine Kultur, in der wichtige Einschätzungen der Geheimdienste häufig im Apparat stecken bleiben würden.
Die Stasi konnte dem Politbüro schlecht sagen, dass die Arbeiter und Bauern des Arbeiter- und Bauernstaates eigentlich keine Lust mehr auf die sozialistische Arbeitsorganisation hatten. Die Gestapo hätte Hitler kaum mitteilen können, dass der Krieg verloren ist. Und auch der BND dringt häufig nicht mit seinem durchaus vorhandenen besseren Wissen bis zu politischen Entscheidern durch, vermutet Neitzel. Die Problematik des Afghanistan-Krieges oder des Angriffes auf den Irak sei dem BND durchaus bewusst gewesen und dieser habe sie auch den verantwortlichen Politikern mitgeteilt. „Aber der BND ist eine nachgeordnete Behörde. Was wollen die überhaupt, haben die Politiker gefragt“, so Neitzel. Ganz anders dagegen in England.
Als die Engländer während des Zweiten Weltkriegs gefangene Deutsche ausspionieren wollten, fälschten sie Zeitungen, Radiomeldungen und schleusten Undercover-Agenten in die Gefängnisse ein. „Beim Fälschen haben die einen tierischen Spaß gehabt und sind so in die Netzwerke der Deutschen eingedrungen“, so Neitzel. Diese Informationen seien dann auch genutzt worden. Frohlockende Schlapphüte? In Deutschland kaum denkbar. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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