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Wichtige Geste. Israelis und Palästinenser sollten einander vergeben.

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Auf einem Symposium des Potsdamer Einstein Forums wurde über Versöhnungsstrategien von Nationen diskutiert

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„Das Thema der Wiedergutmachung und Versöhnung ist aktuell. Das zeigt auch der gegenwärtige Prozess vor dem UN Tribunal, wegen Verbrechen, die in den 90er Jahren im Kosovo begangen worden sind “, konstatiert Susan Neiman, die Leiterin des Potsdamer Einstein Forums.

„Können Länder voneinander lernen?“ lautete die Ausgangsfrage eines international besetzten Symposiums, das nun in Berlin und Potsdam stattfand. Um Versöhnung und Wiedergutmachung kreisten die Vorträge in mehreren Themenblöcken. Es gebe ganz verschiedene Möglichkeiten mit völkerrechtlicher Schuld umzugehen, die juristische Aufarbeitung sei nur eine davon, stellte Neiman fest. Ein generell anwendbares Muster aber gebe es nicht. Eine internationale Strafgerichtsbarkeit, bei der völkerrechtliche Verbrechen verhandelt würden, sei trotz der Tribunale nach dem Zweiten Weltkrieg erst am entstehen.

Neiman verwies auf Beispiele aus zahlreichen Ländern, die im Laufe des Symposiums zur Sprache kamen. Der Krieg im Kosovo, die immer noch andauernde Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und Israelis und auch historische Konflikte wie Aufarbeitung der Rolle Japans und Deutschlands im Zweiten Weltkrieg besprachen die eingeladenen Wissenschaftler. Sie diskutierten die Möglichkeiten der Begegnung von Völkern, die gesetzlichen Grundlagen und auch denkbare Rollenmodelle für eine Versöhnung. Der Diskurs reichte bis zum Prozess in Kambodscha zur Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer. Hiervon berichtete der Hamburger Strafrechtler Jürgen Aßmann. Er war von 2007 bis 2009 Mitglied des außerordentlichen Gerichtshofes in Kambodscha. 2010 fällte das Gericht mit der Verurteilung des ehemaligen Lagerchefs Kaing Gueg Eav ein erstes Urteil.

„Kann der Umgang mit der deutschen Vergangenheit ein Modell für andere Nationen sein, die in Kriegen Schuld auf sich geladen haben?“, fragte der ehemalige Brandenburger Justizminister Hans-Otto Bräutigam. Seiner Ansicht nach waren die Verbrechen der Nazis und der Holocaust jedoch so einzigartig, dass Deutschland tunlichst davon Abstand nehmen sollte, anderen Völkern moralische Ratschläge zu erteilen.

In den 80er Jahren war Bräutigam Staatssekretär der ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR. So hatte er einen recht genauen Einblick in die unterschiedliche Art und Weise, mit der die beiden deutschen Staaten sich der gemeinsamen Vergangenheit annahmen. „Als ein nach ihrem Selbstverständnis antifaschistischer Staat lehnte die DDR eine Mitverantwortung für die Verbrechen des Naziregimes kategorisch ab“, referiert Bräutigam. Er weist auf relativ großzügige Renten der DDR hin, die als Ehrenpensionen bezeichnet wurden und in unterschiedlicher Höhe „Kämpfern“ und „Opfern“ des Naziregimes gezahlt wurden. Auch nach der Wiedervereinigung sei die Aufarbeitung der politischen Verantwortung Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg nicht beendet, stellt Bräutigam fest. Im Juli 2000 unterzeichneten die beauftragten Verhandlungsführer Deutschlands und der USA zwar ein Gesetz, mit dem Zwangsarbeiter aus dem Zweiten Weltkrieg und Personen, die Vermögensverluste wegen nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen erlitten hatten, eine Entschädigung erhielten. Auch dies sei aber kein Schlussstrich, gibt Bräutigam zu bedenken. Die Mehrheit der Deutschen habe die Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen anerkannt: „Es gibt einen Grundkonsens in der deutschen Gesellschaft, dass diese dunkle Seite unserer Vergangenheit nicht vergessen werden darf.“

Mit einem ganz aktuellen Konflikt befasste sich David Shulman. Recht lebhaft berichtete der Jerusalemer Professor für vergleichende Religionswissenschaften über die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern. Er sei ein einfacher Graswurzelaktivist und könne nur über das berichten, was er unmittelbar erlebt und gesehen habe, leitete Shulman bescheiden sein Referat ein. Bei einer friedlichen Demonstration gegen israelische Siedler in palästinensischen Gebieten hatte er aus unmittelbarer Nähe beobachten müssen, wie ein junger Mann von einem aus nächster Nähe abgefeuerten Tränengasgeschoss getötet wurde. Auch wenn derartige Verbrechen in den israelischen Medien nicht besprochen würden, stelle sich die Frage, wieweit es ein Bewusstsein davon in der israelischen Öffentlichkeit gebe. Das gleiche der Frage des Historikers Daniel Goldhagen, der eine Debatte darüber angestoßen hatte, wie weit die deutsche Bevölkerung schon vor 1945 über die Verbrechen der Nazis informiert gewesen sei. „An guten Tagen denke ich, dass beide Seiten lernfähig sind und einander vergeben werden, was sie sich gegenseitig angetan haben“, hofft Shulman. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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