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Von Henri Kramer: Wo der Tresen nicht diskriminiert

Leider ein Doppeltermin: Dieses Wochenende finden gleich zwei Festivals für Chancengleichheit statt

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Der Eindruck, den Matthias Molkenthin von Potsdamer Partyschuppen hat, klingt verheerend – in einem wichtigen Detail. „Nirgends wird an Menschen mit Behinderung gedacht“, sagt der Heilerziehungspfleger. Und spricht von der steilen Treppe hinauf zum Club Charlotte in der Charlottenstraße, allgemein von zu schmalen Kneipeneingängen und zuletzt vom neuen Tresen im Waschhaus in der Schiffbauergasse: „Die sind so hoch, dass ist schon fast diskriminierend für normale Menschen.“ Matthias Molkenthin fallen solche Details seit mehr als acht Jahren auf, bereits damals hat der heute 32-Jährige Menschen mit Behinderungen betreut. Zusammen mit Freunden organisierte er 2002 erstmals das „Rock am Wasserturm“-Festival, dass jetzt am Samstag zum achten Mal auf Hermannswerder stattfinden kann. Molkenthin hat viel zu tun in diesen Tagen.

Szenenwechsel. Auch Martha Czosnowski fallen Details auf. Sie bewegt sich seit Jahren in der HipHop-Szene, zu der auch Klischees von Machos und ihren Mäusen gehören. Obwohl dies in Potsdam weniger verbreitet sei – gerade hier fällt der 30-Jährigen auf, dass es fast nur junge Männer gibt, die Ton und Inhalte der Rap-Kultur in der Landeshauptstadt vorgeben. „Aber selbst die Männer finden den niedrigen Frauenanteil sehr traurig“, sagt Czosnowski und lächelt. Das soll sich in den kommenden Tagen ändern: Zusammen mit dem Autonomen Frauenzentrum veranstaltet sie das erste „Fifty:Fifty“-Festival, bei dem morgen und am Samstag am und im Kesselhaus vom Waschhaus gleich viele männliche wie weibliche Szene-Künstler auftreten und mitmachen sollen. „Frauen sollen sich mehr einbringen können“, sagt Czosnowski – die derzeit wohl noch mehr zu tun hat als Molkenthin.

Denn so ähnlich die Ansätze der beiden Veranstaltungen in Bezug auf Chancengleichheit und Anti-Diskriminierung sind, so unterschiedlich die Voraussetzungen. Czosnowski ist neu im Geschäft. „Wir suchen noch Freiwillige, die uns beim Programm helfen können“, sagt die junge Frau. Ob und wie die Premiere angenommen wird, kann sie noch nicht genau sagen – obwohl das Feedback aus der Szene bisher ausgesprochen positiv sei.

Matthias Molkenthin hat es da einfacher. 700 Besucher waren im vergangenen Jahr beim „Rock am Wasserturm“. Und das Festival hat Tradition: Als Veranstaltung, bei der darauf geachtet werden soll, dass Menschen in Rollstühlen ohne Probleme bedient werden können, bei der jedes Jahr ein Motorrad-Club Rundfahrten für behinderte Menschen anbietet, bei der es bei Bedarf zur Bockwurst auch Plastebesteck gibt. „In Anführungszeichen ’normale’ Menschen merken viele dieser Details gar nicht“, sagt Molkenthin. Und immer wieder betont er, wie wichtig es sei, Berührungsängste abzubauen, die manche Potsdamer noch mit behinderten Menschen haben.

Zwei Festivals also mit einem selbstlosen Anspruch, an einem Wochenende. Vielleicht sprechen sich Thomas Molkenthin und Martha Czosnowski nächstes Jahr über den Termin ab – auch für ihre Zielgruppe der jungen Menschen mit Sinn für Chancengleichheit.

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