zum Hauptinhalt

Von Jan Brunzlow: Wo die Millionen vergraben werden

Die Konjunktour: Eine Fahrradroute entlang der Orte in der Landeshauptstadt, die einmal blühende Landschaften sein sollen

Stand:

Am Eingang steht ein Wachmann. Naja, er ist an der Fensterscheibe des früheren Wachhäuschens am Luftschiffhafen aufgemalt. Vor zwanzig Jahren ist man an dieser Stelle nicht weitergekommen, es sei denn man war Mitglied des Armeesportklubs. Alles war geheim, gepflegt, auf dem Gelände galt alles der Entwicklung der sportlichen Elite des sozialistischen Vaterlandes. Heute sieht der erste Anblick des Luftschiffhafens aus, als hätte Studio Babelsberg gerade Aufnahmen für Rambo I nachgedreht. Doch nichts ist hier Kulisse, alles ist echt. Zerschlagene Fensterscheiben, eine heruntergekommene Villa direkt am Wasser, abrissreife Gebäude. Das putzgrau der DDR schimmert aus allen Ecken. Selbst die Sonne kann das rückwärtsgewandte Ambiente nicht schöner aussehen lassen, höchstens erträglicher. Einziger Farbtupfer an diesem Nachmittag sind sieben junge Frauen, die Plakate malen. „ – Make Love“ steht darauf. Startet hier die Revolution? Nein, die haben gerade keine Konjunktur.

Die Konjunktour beginnt am Luftschiffhafen, dem Sportareal der Landeshauptstadt. Hier trainieren Olympiasieger sowie Welt- und Landesmeister. Seit Jahren werden Konzepte für das Gelände entwickelt, doch erst die miese wirtschaftliche Lage hilft dem Projekt Sportstadt Potsdam weiter. 73 Millionen Euro werden aus dem Konjunkturpaket des Bundes und des Landes in Potsdam investiert, allein 15 Millionen Euro am Luftschiffhafen. Das Areal ist riesig, jedes einzelne Gebäude, jede Halle hat eine eigene Geschichte. Manche beginnen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, andere erzählen die Geschichte des DDR-Spitzensports und seiner Protagonisten. Wie die sanierungsbedürftige Turnhalle, in der die Behrendt-Brüder in den 1980er ihre Gold-Darbietungen eingeübt haben.

Es ist wenig los an diesem Tag, einem Montag. Die Schule hat wieder begonnen, die Schüler pendeln zwischen Schule und Training. Nichts besonderes an der Eliteschule des Sports. Viel hat sich hier verändert, vor allem äußerlich. Das Wohnheim ist saniert, die Schule ebenfalls. Nur an der Mensa, dem Speisesaal der Schüler, stehen momentan Gerüste. Innen sieht sie allerdings noch aus wie vor 20 Jahren und ehemalige Schüler sagen, auch das Essen ist nicht besser als früher. Zumindest rein äußerlich soll sich daran in Zukunft etwas ändern, denn insgesamt 33 Millionen Euro werden in das Areal investiert. Geplant ist der Abriss von Häusern, die Neugestaltung des Geländes und der Neubau einer Sporthalle – in drei Jahren soll zu sehen sein, was die Konjunkturgelder bewirkt haben. Die Konjunktour beginnt.

Gleich gegenüber, nur eine Querung über die Zeppelinstraße, führt die Siedlung Stadtheide in ein Konjunkturprojekt vergangener Tage. Zwischen 1919 und 1923 entstanden die Häuser Zeppelinstraße, Stadtheide und Im Bogen als zweites städtisches Siedlungsprojekt nach dem Ersten Weltkrieg. Ruhe herrscht auf den Straßen, der Fleischer in der Straße öffnet in alter Tradition am Montag nicht und der Lebensmittelladen auf dem als Marktplatz gestalteten Karree ist seit langem leer. Dieser Ort hat schon bessere Zeiten erlebt, von vielen Häusern bröckelt der Putz ab. Das sagt auch eine junge Frau, die ihren Kinderwagen über den schwarzen Asphalt schiebt. „Aber es ist alles in der Nähe, es lebt sich gut hier“, sagt sie. Ein Hund bellt in einem der Gärten, die zwischen den alten Häusern stehen, auch der Lärm der Zeppelinstraße ist deutlich zu hören.

Die Fahrt geht weiter, entlang der Knobelsdorffstraße – ein bekannter Baumeister. Wenn er die Häuser sehen könnte, die in dieser Straße stehen  Frisch saniert sind die Plattenbauten, die wirklich wenig architektonischen Anspruch haben. Aber sie sind farbig gestaltet und der Blick aus dem Haus – zumindest den oberen Etagen reicht weit. Über die Bahnschiene hinweg in Richtung Neues Palais. Eine schöne Sichtachse, die von den Ereignissen direkt vor der Tür ablenkt. Hier wären viele Konjunkturmittel nötig. Immerhin bekommt die Schule in der Haeckelstraße etwas davon ab. Es ist eine der Einrichtung, die etwas von den sechs Millionen Euro bekommen soll, die für Schulsanierungen zur Verfügung stehen werden. Seit Jahren wartet die Grundschule darauf, bislang vergeblich. Zwei Querstraßen weiter gibt es eine der spannendsten Ecken Potsdams, die Zeppelinstraße Ecke Kastanienallee. Die Ecke, an der das Momper-Center bereits stehen sollte. Immer wieder beteuern die Projektsteuerer, es kommt. Da ist es noch nicht. Den Uferweg entlang bestimmt der geschlossene Uferweg das Gesprächsthema. Schlimm sei das, sagte eine alte Frau zu ihrem Mann. Die Öffentlichkeit soll ausgesperrt werden. Und wie ist das hier. "Hier nicht", sagt der ältere Herr, selbst Momper kann den Weg nicht schließen. Die Route und der Weg sind sicher, an dieser Stelle hat die Stadt einen sicheren Weg. Vorbei an der Strandbar (ein guter Punkt für den ersten Halt) führt die Route zur ehemaligen Bastion und vorbei an der Wohnanlage Schillerplatz. Es sei die bedeutendste Wohnanlage aus der Zeit des Dritten Reiches in Potsdam, sagen die Denkmalschützer. „Der Platz hieß früher einmal Adolf-Hitler-Platz“, erklärte ein Mann. Ein komisches Gefühl, diese Bemerkung ausgerechnet am Tag von Hitlers Geburtstag zu hören. Selbst über die Info-Tafel zum Wiederaufbau der Bastion steht mit schwarzem Stift „Nazi-Shit“ – aber zurück zur Konjunktur.

Mit der Fähre führt der Weg nach Hermannswerder (1,20 Euro kostet die dreiminütige Überfahrt) und zum alten Uferweg, der nach viel Natur an der Leipziger Straße endet. Von hier an erstrecken sich die größten Baugebiete der Stadt entlang des Weges: Speicherstadt linkerhand, später der Brauhausberg mit ungewisser Zukunft rechterhand. Nach dem Leipziger Dreieck sind die ersten Hochbauten am ehemaligen Gelände des Reichsbahnausbesserungswerkes zu sehen. Eine einfache Industriehalle entsteht vis á vis des Regierungsviertels. Gefördert durch die EU, Bund und Land steht auf dem Bauschild, Konjunkturmillionen sind es allerdings nicht. Ein Autozulieferer kommt mit „Erhard und Söhne Automotive“ an diesen Standort, ein stark konjunkturabhängiger Industriezweig dieser Tage.

Der Weg führt weiter nach Babelsberg, auf die Potsdamer Konjunkturmeile: Vorbei am Kulturhaus, der Bürgel-Grundschule bis zum Karl-Liebknecht-Stadion. Etwa zehn Millionen Euro werden an dieser Stelle investiert. Auf der Straße lässt es sich flanieren, junge Frauen schieben Kinderwagen durch die Gegend, ein Babysitter übernimmt den Nachwuchs und in den Straßencafés trifft man sich. Die Konjunktour führt in die Stadt, Humboldtbrücke und Klinikum sind noch Empfänger. Alle, die eine Finanzspritze erhalten, haben Bedarf. Und noch viele, die nichts erhalten haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })