Kolumne PYAnissimo: Wo Filmstars das Gras wachsen hören
Ich liege bäuchlings auf der Pritsche beim Physiotherapeuten. Durch das Oval im Kopfteil schaue ich auf die braunen Beine des Mannes.
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Ich liege bäuchlings auf der Pritsche beim Physiotherapeuten. Durch das Oval im Kopfteil schaue ich auf die braunen Beine des Mannes. Es ist ein recht eingeschränktes Blickfeld, 30 Minuten lang Tunnelblick auf Füße, Sportschuhe, Laminat. Keine 100 Meter weiter in den Studios in der August-Bebel-Straße werden vielleicht gerade irgendwelche internationalen Filmhits produziert. Und ich liege hier . Ahnungslos. Von der Straße aus kann man manchmal die Campingwagen der Stars, der Maske oder von wem auch immer sehen. Und ich stelle mir vor, wie sich am Set gerade jemand den Hals verrenkt und bei der Physiotherapie klingelt und die sagt: Nächster freier Termin erst in zwei Wochen. Dann muss der Regisseur beziehungsweise der Autor schnell eine Halskrause ins Drehbuch einbauen.
Aber so ist das in Babelsberg. Es ist ein trautes Örtchen. Morgens und abends sind die S-Bahnen voll, wenn die HPI-Studenten hier einfallen. Und dann wieder abdrehen. Zwischendurch ist nicht viel los in Brandenburgs Silicon Valley und Klein Hollywood. Am Nachmittag liefern die rbb-Wagen ihre Geschichten für die Abendschau ab, dann wird das Licht ausgemacht. Falls nicht noch der Blitzer in der Marlene-Dietrich-Straße steht. Von Kneipen oder Bars keine Spur, von Dienstleistern wie Physiotherapie auch nicht direkt. Der einzige Gastronom, ein verlässlicher Italiener am Hiroshima-Platz, freut sich dusselig. Wo ist das Leben?
Die Studios haben das Problem erkannt und wünschen sich mehr Filmförderung. Das wäre toll, aber dann gäbe es immer noch keine Cafés im Kiez. Dabei liegt, für wenige Stunden am Tag, das Durchschnittsalter der Bürger im vorbildlich unteren Bereich, der IQ vermutlich umgekehrt proportional oben. Und dazu all die wunderschönen Filmstars Könnte man was draus machen. Aber für die meisten Einpendler bleibt es ein Arbeitsort.
Die Potsdamer indes wissen auch nicht so richtig was anzufangen mit dem Potenzial vor ihrer Haustür, echte Medienzentren und falsche Vulkane. Die Studios gab es doch schon immer, „die Uni“ auch. Nur die Buslinie hat sich verändert. Also alles so beschaulich lassen? Es ist ja nichts Verwerfliches, wenn man hier das Gras wachsen hört. Möglicherweise ist es gerade das, was die Filmbranche schätzt? Dass man hier in Ruhe gelassen wird?
Auf dem Heimweg habe ich jedenfalls einen ovalen Abdruck im Gesicht. Ein gut aussehender Mann mit Aktenordner im Arm – oder ist es ein Drehbuch? – und einem gewissen Tunnelblick kommt mir entgegen. Ist hier etwa gerade ein fetter Star an mir vorbeigelaufen? Und ich denke, für ein Weilchen noch könnte hier alles so bleiben, inklusive Tunnelblick. Das ist natürlich Quatsch, das wird es nicht. Gleich um die Ecke wird seit Wochen gebaggert. Ich dachte erst, das wird ein neues Sommerloch. Nein, es wird gebaut. Für neue Babelsberger. Ist halt schön hier.
Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg
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