Diskussion im Bildungsforum Potsdam: Wohin mit der Nato?
Wissenschaftler diskutierten im Bildungsforum über die europäische Verteidigungspolitik unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump.
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Potsdam - Jeremy Shapiro ist sich nicht ganz sicher: „Meint Trump wirklich diesen ganzen Mist?“ Der Forschungsdirektor beim European Council on Foreign Relations (ECFR) hat sich sein Leben lang mit der internationalen Außenpolitik von Staaten befasst.
EU und Nato müssten zu neuem Selbstverständnis finden
Im Bildungsforum diskutieren am Montagabend neben Shapiro der Mitarbeiter beim Verteidigungsministerium Golo M. Bartsch, die Forschungsassistentin Christel Zunneberg und der Potsdamer Historiker Sönke Neitzel über die gegenwärtige Situation der EU nach der Inauguration des amerikanischen Präsidenten. Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat Trump das transatlantische Handelsabkommen TPP gecancelt. Zuvor hatte er immer wieder mal die Nato als veraltet dargestellt. Daraus ergibt sich nun für Europa die Frage, wie die Zukunft des transatlantischen Verteidigungsbündnisses aussieht. Denn bisher waren die USA finanziell und militärisch im Bündnis dominant. Damit hätten die Amerikaner natürlich auch immer ein Kontrollinstrument gegenüber Europa in den Händen gehalten, bemerkt Shapiro. Die EU und auch die Nato müssten daher zu einem neuen Selbstverständnis finden.
„Ich mache das schon länger, als Christel auf der Welt ist, daher weiß ich: weil etwas notwendig ist, geschieht es noch lange nicht“, sagt Shapiro und lächelt der recht jungen Wissenschaftlerin Christel Zunneberg zu. Die Forschungsassistentin am ECFR hat an einer Studie mitgewirkt, bei der 347 Politiker aus ganz Europa befragt wurden, wie sie die aktuelle außenpolitische Situation der EU im Hinblick auf Trump und nach dem Brexit beurteilen. Dabei hat sich gezeigt, dass Deutschland als Schwergewicht in wirtschaftlicher und auch verteidigungspolitischer Hinsicht eingestuft wird. Was nicht besonders überraschend ist. Allerdings gehen die kleineren Staaten in Europa dementsprechend auch davon aus, dass Deutschland in der Verteidigungspolitik der EU eine gewichtige und gegebenenfalls auch eine Führungsrolle einnehmen sollte. „Wir sind keine Soldatennation. Da müssen die Deutschen voran gehen“, sagt Zunneberg, die aus Holland stammt.
Ein historisch wichtiger Punkt
Auch Bartsch, der allerdings nicht im offiziellen Auftrag des Verteidigungsministeriums auf dem Podium sitzt, konstatiert: „Wir müssen unsere Führungsrolle übernehmen.“ Allerdings sei die EU nie als Verteidigungs-, sondern stets als Wirtschaftsbündnis konzipiert gewesen. „Das ist jetzt ein historisch wichtiger Punkt der Geschichte. Möglicherweise werden wir das erst erkennen, wenn wir in 50 Jahren zurückblicken“, so Bartsch. Denn gegenwärtig bestünde die Chance, eine gemeinsame Verteidigungspolitik von Europa zu konzipieren. Auch wenn es kein gemeinsames Oberkommando gibt, so bestehe doch die Möglichkeit, die Gewichtung von Europa innerhalb der Nato neu zu bestimmen. Auch der Historiker Neitzel betont: „Ein kultureller Wandel ist notwendig. Europa muss ein neues Selbstbewusstsein entwickeln. Wir dürfen uns nicht immer hinter dem Rücken der Amerikaner verstecken.“ Dies bezöge sich auch auf das Militär, denn Verteidigung schließe Kampf und Waffengewalt ein. Das sei in den vergangenen Jahrzehnten in Europa etwas aus dem Blick geraten.
"Mit mehr Preußentum gewinnen Sie keine Wahlen"
Wie sehr der martialische Aspekt des Militärs auch im Verteidigungsministerium verdrängt worden ist, illustriert Bartsch mit einer aktuellen Studie zur Verteidigungspolitik, in der an keiner Stelle das Wort „Kampf“ auftauche. „Das ist absurd“, meint Bartsch. Auch Shapiro ist der Ansicht, dass jetzt ein guter Zeitpunkt sei, auf die öffentliche Meinung einzuwirken: „Die Massen sind beeinflussbar. Man muss eine entsprechende Erzählung entwickeln.“ Es gelte, eine Bedrohungslage darzustellen, um eine Stärkung des europäischen Militärs zu erreichen. Eine solche Bedrohungslage in Brandenburg zu kreieren, sei gar nicht so einfach, meint Neitzel jedoch. Und auch Barsch hat erkannt: „Mit mehr Preußentum gewinnen Sie keine Wahlen.“
Richard Rabensaat
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