Schifffahrt in Potsdam: Wunschberuf: Dampferkapitän
Vor 150 Jahren begann in Potsdam die große Zeit der Schifffahrt. Historiker Klaus Arlt verriet, warum es auf den Wasserstraßen so betriebsam war
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Nicht etwa auf dem Wasser – wie passend wäre das gewesen – sondern auf dem Trockenen, im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, ging es Mittwochabend um Potsdams aufregende Geschichte der Wassernutzung und einen besonderen Jahrestag: Vor 150 Jahren begann in Potsdam die gewerbliche Fahrgastschifffahrt. Stadthistoriker Klaus Arlt erzählte bei der Veranstaltung der Studiengemeinschaft Sanssouci im gut gefüllten Vortragssaal im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte von der überraschend vielfältigen Nutzung der Wasserstraßen, die die Stadt umschließen, durchziehen und mit Nachbarstädten verbinden. Und die zunächst nicht zum Vergnügen befahren wurden, sondern weil es bis ins 19. Jahrhundert hinein die Transportwege der Wahl waren.
Pferdewagen und Postkutschen waren langsam, klein, schlecht gefedert. Die Eisenbahn gab es noch nicht. Auf dem Wasser war also viel los. „Die private Wasserfahrt war das wichtigste Speditionsgewerbe der Zeit“, sagte Arlt. Man transportierte große Mengen von Baumaterial oder empfindliches Mobiliar der gehobenen Gesellschaft – sanft und erschütterungsfrei, damit alles heil blieb. Auch die Obstbauern aus Werder (Havel) nutzen den Vorteil der ruhigen Wasserwege im Vergleich zu den Buckelpisten an Land.
Neben Schiffen gab es in der Stadt am Wasser allerorten Fähren, mit denen sich schnell übersetzen ließ. Erst Anfang des 15. Jahrhunderts wurde die erste Lange Brücke gebaut, die eine gewisse Lebensdauer vorweisen konnte. Mitte der 1970er wurde die Humboldtbrücke gebaut. Bis 1981 funktionierte parallel noch die Seilfähre zwischen Holzmarktstraße und Park Babelsberg. Einzig im Stadtgebiet erhalten ist die Fähre vom Kiewitt nach Hermannswerder.
Übrig geblieben aus der Zeit des Fährverkehrs sind allerdings zahlreiche Wirtshäuser in Uferlage – Zeugnisse reger Betriebsamkeit. „Ein Ausflug musste damals ein Ziel haben“, sagte Arlt. Denn natürlich war man damals auch zum Vergnügen auf dem Wasser unterwegs, fuhr zum Baden an den Tornow. Für drei Groschen ging es zur Rosenblüte hinüber zur Pfaueninsel. Zur Benutzung gab es auch damals offizielle Vorschriften: Nicht mehr als 16 Personen durften in eine Gondel, bis zu sechs in einen Kahn.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurden schon große Dampfschiffe gebaut, Raddampfer, auch in Potsdam in der Pirschheide und der Berliner Vorstadt. Daher hat die Schiffbauergasse ihren Namen.
Der Beginn der 150-jährigen Vergnügungsfahrttradition in Potsdam wird auf den 20. Mai 1865 gelegt: Damals gründete August Gebhardt seine Werft am Luftschiffhafen, die vier Dampfer der Gebhardt-Flotte fuhren nun regelmäßig die vielen Anleger im Stadtgebiet an. Auch manch kurioses Ziel wurde angesteuert: 1871 ging es am Lager französischer Kriegsgefangener, das sich am Havelufer befand, vorbei. „Die Leute sollten sich die Exoten vom Schiff aus ansehen“, sagte Arlt. „Sie sehen, auch damals gab es eine Eventkultur.“
Auf dem Griebnitzsee fungierte ein Dampfer als eine Art Stadt-Buslinie, pendelte zwischen Bahnhof Neubabelsberg und der Wendestelle in Klein Glienicke, vor der Enver-Pascha-Brücke – heute nur noch an Mauerresten und als Versorgungsbrücke erkennbar. Bunte Postkarten zeigen die Schiffe auf dem See, der heute viel zu klein scheint für solche Dampfer. Doch am Ufer des Griebnitzsees gab es damals sogar eine größere Werft. Nichts davon ist heute zu sehen – im Zweiten Weltkrieg wurde alles zerstört, Schrotthändler entsorgten, was an Land und im Wasser übrig geblieben war. Auch die Nuthemündung gegenüber der Freundschaftsinsel sah damals komplett anders aus. Wo heute ein Naturufer ist, war bis 1945 ein Industriestandort, Schiffbau mit Hunderten Arbeitsplätzen, der die Stadt mit der prominenten Wasserlage prägte. Dampfschifffahrt und alles, was damit zu tun hatte, genoss damals hohes Ansehen. Für viele kleine Jungs war Dampferkapitän der Wunschberuf schlechthin.
Doch nicht nur das Volk war auf Havel und Nuthe unterwegs – auch die kaiserliche Familie. In der Matrosenstation Kongsnaes, deren Wiederaufbau heute so umstritten ist, sei damals ganz schön was los gewesen, sagte Arlt. Von hier aus fuhr man mit der Fregatte Royal Louise oder dem Dampfboot Alexandria II zu wichtigen Terminen: Kanaleröffnungen und Schleusen- oder Brückeneinweihungen, zum Manöver, zur kaiserlichen Ruderregatta. Staatsgäste und Reichstagsprominenz wurde auch damals schon stolz herumgefahren auf Potsdams schönen Wasserstraßen, unbehelligt vom Publikum. Und am 1. Juni 1888 brachte man mit dem Boot den todkranken Kaiser Friedrich III. nach Potsdam – das Volk empfing ihn ehrerbietig mit einem Blumenmeer zu Wasser.
Für kleinere, spontane Ausflüge gab es Anfang des 20. Jahrhunderts bald Motorboote, die Prinzen lernten vom Boot aus schwimmen. Von der royalen Flotte ist heute kaum noch etwas übrig. Die Spuren der hoheitlichen Schiffe verlieren sich in ganz Europa. Die Alexandria II fungierte zuletzt als Schlepper auf der Donau und wurde 1985 verschrottet.
In den ersten Wochen und Monaten nach dem Krieg war man wieder wie früher auf Schiffe angewiesen, Straßen und Brücken waren zerstört, die Bahn funktionierte nicht. Zuhörer erzählten nach dem Vortrag von Kindheitserinnerungen: Im übervollen Schiff ging es von Potsdam nach Glindow, sogar bis nach Magdeburg. „Das Schiff lag so tief – der beste Platz war sicherheitshalber an der Tür, da konnte man schnell rausspringen, sollte etwas passieren.“
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