Von Juliane Wedemeyer: Zähneputzen auf dem Bahnhofsklo Pappkartons und Blume: Künstlerin Roos Versteeg wohnt bis Sonntag in den Bahnhofspassagen
Roos Versteeg hat sich ein Regal aus Pappe gebaut – für ihre Zahnbürste, die Handtücher und einen Packen Waffeln. Sie bezieht gerade ihr neues Heim, die Bahnhofspassagen.
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Roos Versteeg hat sich ein Regal aus Pappe gebaut – für ihre Zahnbürste, die Handtücher und einen Packen Waffeln. Sie bezieht gerade ihr neues Heim, die Bahnhofspassagen. Dort, in einem der großen, leeren Räume hinter den riesigen Glasscheiben, wird sie bis Sonntag wohnen. Wieso? Roos Versteeg stellt die Gegenfrage: „Wieso sollte man überhaupt noch nach Hause gehen?“
In den Bahnhofspassagen bekäme man ja alles: Obst und Gemüse, Lebensmittel, Kartons für die Regale – die hat sie von Kaufland und Netto. Freunde haben ihr ein Holztischchen und eine Blume geschenkt. Alles, was Roos Versteeg in den nächsten Tagen zum Leben benötigt, wird sie sich in den Passagen besorgen. „Gut, eine Dusche habe ich hier nicht“, sagt Roos Versteeg. Aber dafür sei es warm und gemütlich. Und es gebe Musik. Shopping-Malls seien schließlich extra so konzipiert, dass die Kunden möglichst lange blieben.
Roos Versteeg bleibt eben einfach noch ein bisschen länger. Nein, nicht, weil es am Bahnhof besonders schön findet. „Ich wollte gucken, wo das Wohnen entsteht“, sagt sie. Und das könne man am besten an einem Ort des Kommens und Gehens. Die 28-Jährige hat nämlich eine These, die es zu beweisen gilt: „Ich behaupte, dass man schon beim Warten auf dem Zug eine Beziehung zum Raum entwickelt“, erklärt sie. Wenn das Warten ein bisschen länger dauere und sich der Reisende kurz von seiner Bank erhebt, wolle er sich meist genau auf diesen Platz zurücksetzen. „Eigentlich fängt dort schon Wohnen an. Dabei ist der Bahnhof ein öffentlicher Raum und kein privater.“
Roos Versteeg beschäftigt sich schon lange mit Räumen. Sie ist Künstlerin, hat in ihrer Heimatstadt Rotterdam ihren Bachelor in Kunst absolviert und studiert nun im vierten Semester an der Kunsthochschule Berlin Weißensee für einen Master in Raumstrategie.
Ihr Wohnprojekt ist Teil von „Localize – das Heimatfestival.“ Die stadtübergreifende Kunstaktion veranstalten Medienwissenschafts-Studenten der Universität und der Fachhochschule vom 22. bis 24. Oktober in den Bahnhofspassagen, im Filmmuseum und in einem verlassenen Haus in der Lindenstraße 15. Sie haben auch die holländische Berlinerin dazu eingeladen. Über deren Schlafstätte am Bahnhof hängt jetzt eine Kamera, die jede Stunde ein Fotos schießt. Die sollen dann später in der Lindenstraße 15 gezeigt werden.
Wie viel Heimatgefühle sich am Bahnhof bei Roos Versteeg einstellen, will sie am eigenen Leib testen. Die Passanten können ihr dabei zusehen. Zähneputzen und sich waschen wird sie sich auf der Bahnhofs-Toilette. Für den Morgenkaffee hat sie auch schon ein Café gefunden. Essen wird sie in einem der vielen Imbisse. Und schlafen zwischen zwei Pappkartons. Die sollen sie nachts vor dem Licht auf dem Gang schützen, aber auch vor den Blicken der vorbeiziehenden Leute. Nachts schließt sie die Glastür zu dem Raum, in dem sie wohnt zu. Den Schlüssel habe sie. Tagsüber bleibt er aber auf, jeder kann hereinkommen. Die Medienwissenschaftsstudenten bieten Besuchern sogar Aktionen zum Mitmachen an. Heute zum Beispiel können Kinder ab 13.30 Uhr basteln und morgen Jugendliche mit dem Künstler Pekor Graffitiskizzen erarbeiten.
Mitten in diesem Treiben wird auch Roos Versteeg sein. Vielleicht macht sie gerade ein Nickerchen zwischen den Kartons oder malt ein Bild für eine ihrer Pappwände – ihre Wohnung wolle sie jeden Tag weiterentwickeln. Vielleicht sitzt sie aber auch einfach in der Eisdiele. Da findet sie es nämlich auch sehr nett.
Was passiert beim Zähneputzen auf dem Bahnhofsklo? Die PNN werden Roos Versteeg und ihre Kunstaktion im Bahnhof jeden Tag begleiten.
Juliane Wedemeyer
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