
© Mathias Schumacher
Von Tatjana Schäfer: Zahnlücken und rote Haare gesucht
Eine Berliner Agentur castet Komparsen für eine Babelsberger Hollywood- Filmproduktion
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Trotz der eisigen Kälte hat sich vor der Tür der Berliner Agentur Filmgesichter eine Menschenschlange gebildet. Die Wartenden wollen sich als Komparsen für Roland Emmerichs neuen Film „Anonymous“ bewerben und sind einem ungewöhnlichen Aufruf der Agentur gefolgt. Da der Film des deutschen Hollywood-Regisseurs zu Lebzeiten des Dichters William Shakespeare im England des 16. Jahrhunderts spielt, sucht die Agentur Statisten, „die optisch in die damalige Zeit passen“. Dazu gehören laut Agenturchefin Johanna Ragwitz neben Rothaarigen auch Menschen mit Zahnlücken, Amputationen oder nur einem Auge. Werden sie erwählt, könnte sie bereits ab Ende März in Babelsberger Filmstudios vor der Kamera stehen.
Tatsächlich haben sich an diesem Nachmittag einige rothaarige Berliner eingefunden, um den Bewerberbogen auszufüllen und sich für die Kartei fotografieren zu lassen. Knapp eintausend Menschen haben sich laut Ragwitz bisher für eine Komparsen-Rolle in „Anonymous“ beworben, darunter etwa 200 Rothaarige. „Ich hätte gedacht, dass sich mehr Naturrothaarige vorstellen würden“, sagt die Agenturchefin. Aber naturrote Haare sind eine Rarität, genauso wie Zahnlücken im Jahr 2010 sehr viel seltener anzutreffen sind als noch zu Shakespeares Zeiten. „Heutzutage richtet der Zahnarzt alles“, sagt Ragwitz.
Bewerber mit Zahnlücken stellen sich an diesem Tag nicht bei Ragwitz und ihren Mitarbeitern vor. Auch Menschen mit Amputationen oder anderen körperlichen Gebrechen sind in der Reihe der Wartenden nicht auszumachen. Die angehenden Komparsen sehen alle recht normal aus. Eine von ihnen ist die 68-jährige Dörte. Sie hat rötliches Haar. Allerdings ist es getönt, wie Agenturchefin Ragwitz kritisch bemerkt. „Aber ihr Gesicht ist gut“, sagt sie. Dörte bewirbt sich aus „Abenteuerlust“ als Komparsin, wie sie sagt. Die Rentnerin hat schon vieles gemacht. „Ich habe mich durchs Leben geschlagen“, erzählt sie. Sie habe früher unter anderem als Reinigungskraft gearbeitet oder als Zimmermädchen in der Schweiz. „Als junge Frau habe ich sogar eine Zeit lang Striptease getanzt“, berichtet sie offenherzig. Früher sei sie Hippie gewesen, habe mit LSD experimentiert und Haschisch geraucht. Aufgeschlossen für Neues sei sie noch immer, sagt die Seniorin und gibt ihren Bewerbungsbogen ab.
Auch den 60-jährigen Karl hat vor allem die Neugierde zum Casting geführt. Finanzielle Gründe habe seine Bewerbung um eine Komparsenrolle nicht, obwohl er das Geld durchaus brauchen könnte. „Ich war Flugzeugmechaniker und bin inzwischen krankheitsbedingt arbeitslos.“ Karl hatte Krebs und ist nach drei Operationen mittlerweile genesen. Aussichten, wieder in seinen Job zu kommen, hat er nach eigener Einschätzung nicht. „Deshalb habe ich Zeit“, sagt er abgeklärt. Eine Zahnlücke habe er zwar nicht vorzuweisen, dafür aber eine Operationsnarbe am Hals, berichtet der 60-Jährige und zeigt auf eine Stelle unter seinem dicken Schal.
Für die Agentur Filmgesichter, die bereits die Statisten für Quentin Tarantinos Film „Inglourious Basterds“ gestellt hat, bedeutet Emmerichs Produktion eine logistische Herausforderung. „Insgesamt werden mehrere tausend Komparsen benötigt“, sagt Chefin Ragwitz. Zwar würden sich übers Internet Menschen aus ganz Deutschland bewerben, sie suche jedoch speziell Komparsen aus Berlin und Brandenburg. „Da ihnen kein Fahrgeld gezahlt wird, müssen die Leute aus der Umgebung kommen,“ schildert Ragwitz die Situation. Seit zehn Jahren ist sie im Geschäft und hat dementsprechend bereits einen Bestand an Komparsen, auf den sie zurückgreifen kann.
Auch Leute mit auffälligen körperlichen Merkmalen, wie sie die Agentur augenblicklich sucht, sind darunter. „Ein ehemaliger Metzger, der bei einem Arbeitsunfall einen Arm verloren hat, ist seit Jahren Berufskomparse.“ Seine körperliche Einschränkung mache ihn zu etwas Besonderem, wie es für Filmproduktionen immer wieder gebraucht werde, berichtet Ragwitz. Sie hofft, dass sich bis zum Ende der Bewerbungsfrist am 11. Februar noch viele potenzielle Statisten vorstellen, ob mit Zahnlücke oder ohne.
Tatjana Schäfer
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