Landeshauptstadt: Zehn Jahre schlafen in der Schule
Stadtjugendring und Jugendherberge feiern das Jubiläum mit einem Sommerfest in der Babelsberger Schulstraße
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Kaum vorstellbar, aber bis vor zehn Jahren gab es in Potsdam keine Jugendherberge. „Wir waren die einzige Landeshauptstadt ohne eine solche Unterkunft“, sagt Dirk Harder. Der heute 46-Jährige ist seit 1993 Mitglied im Vorstand des Stadtjugendrings (SJR), der gemeinsam mit der Jugendherberge seit zehn Jahren in der ehemaligen Lindenschule in Babelsberg residiert.
Das gemeinsame Jubiläum wird am kommenden Samstag ab 14 Uhr mit einem Nachbarschaftsfest gefeiert – mit Livemusik von Potsdamer Bands und hoffentlich ohne größere Zwischenfälle: Denn bei der Einweihungsfeier im Sommer vor zehn Jahren wurde es einem Anwohner der Schulstraße zu laut. Mit einer Axt erschien der ältere Herr auf dem Fest und drohte, die Kabel der Tonanlage zu durchtrennen. „Ausgerechnet während der Rede von Matthias Platzeck“, erinnert sich Harder. Heute sei das Verhältnis zu den Nachbarn entspannt, so richtig laut werde es ohnehin selten.
An diesem Vormittag will eine Schulklasse aus der Herberge gerade abreisen, ansonsten ist es in dem Haus mit den vielen Vereinsbüros und der Geschäftsstelle des SJR ruhig. Vor drei Monaten übernahm Sozialpädagogin Katja Altenburg, zuvor beim Potsdamer Kinder- und Jugendbüro, die Geschäftsführung; Dirk Harder hat die Entwicklung dieses Areals in der Schulstraße 9, den Umbau der alten Schule zum Haus der Jugend und der Jugendherberge, komplett miterlebt – und auch die Zeit davor.
Denn als nach der Wende das Vorgänger-Haus in der Berliner Straße 49, die ehemalige Bezirks- und Kreisleitung der FDJ, zum Haus der Jugend umgewidmet wurde, war Harder auch dabei. An wilde Partys kann er sich erinnern, gefeiert wurde beispielsweise im „Café Cabana“ unterm Dach des heruntergekommenen Altbaus. Als das Haus auf dem Ufergrundstück am Tiefen See verkauft werden sollte, musste Ersatz her – und lange rangen der SJR, die Dachorganisation und Interessenvertretung von derzeit 24 Organisationen der freien Jugendhilfe, und die Stadt um eine Lösung. Damals war Jann Jakobs Jugendamtsleiter: Der heutige SPD-Oberbürgermeister habe großen Anteil daran, dass man nicht obdachlos wurde, sagt Harder noch heute. Viele Vereine hätten sonst die Nachwendejahre nicht überlebt, befürchtet er.
„Wir wollten im Stadtzentrum bleiben, uns nicht an den Rand drängen lassen“, sagt Harder. Ein Domizil in Drewitz oder am Stern lehnten die Nutzer ab. „Und dann wurde uns ganz ernsthaft die La Datscha angeboten, das kleine besetzte Haus am Havelufer – 100 Quadratmeter als Ersatz für 1800.“ Harder muss lachen. „Das haben wir als Verwaltungsposse angesehen“, sagt er. 1999 kam die leer stehende Grundschule neben dem Babelsberger Pfarrhaus ins Spiel. Ein „Das hätte auch Herr Semmelhaack gern gehabt“ kann sich Dirk Harder dazu nicht verkneifen. Denn die Stadt sicherte die Immobilie für die Jugendverbände. Der Jugendherbergsverband errichtete auf dem Gelände eine Herberge, dafür muss die Stadt nur noch die alte Schule als Haus der Jugend ausbauen. Für 30 Jahre zahlen die Nutzer lediglich Betriebskosten, „eine Win-win-Situation für beide Seiten“, findet Harder.
24 verschiedene Nutzer sind im Haus in der Schulstraße untergekommen, manche Räume werden von mehreren Vereinen gemeinsam genutzt, die Sprechzeiten auf die Woche verteilt. Zwei Seminarräume gibt es, die auch an Fremdveranstalter vermietet werden. Was dem Haus aber noch etwas fehlt, ist Laufkundschaft. Um aber in dem großzügigen Foyer beispielsweise ein Café einzurichten, bräuchte man zusätzliches Personal. „Unsere Freiwilligen sind aber schon ausgelastet, die organisieren Kampagnen, schleppen die Hüpfburg durch die Gegend“, sagt Katja Altenburg. Gerade sei die Erstwählerkampagne zu Ende gegangen, 8000 Jugendliche habe man dabei erreicht, schätzt Altenburg.
Das Haus ist voll, Anfragen nach Räumen muss sie zurückweisen. Neben dem Raumproblem hat der SJR ein weiteres: Aufgrund der Denkmalschutzauflagen für die alte Schule darf an der Hausfront kein Hinweisschild auf den SJR oder die Jugendherberge hängen. Lediglich an der Grundstücksmauer ist ein Schild, welches auf die Einrichtungen hinweist. „Das würden wir gern ändern“, sagt Altenburg.
Wer den Zugang über den Hof gefunden hat, steht vor dem Neubau für die Herberge. Oberbürgermeister Jann Jakobs und Steffen Reiche, damals SPD-Minister für Bildung, Jugend und Sport, rissen dort 2003 als Baggerfahrer die Wände eines alten Hofgebäudes ein. Die Jugendherberge mit 152 Betten war 2013 zu 51,7 Prozent ausgelastet. Besser als der Durchschnitt bei den anderen Herbergen in Brandenburg, etwas schlechter als Berlin, heißt es vom Deutschen Jugendherbergswerk. Insgesamt zählte man 2013 12206 Gäste. Den größten Anteil machen Schulklassen aus. Doch es kommen auch viele Familien.
Unter diesen ist hin und wieder der CDU-Landtagsabgeordnete Henryk Wichmann, der während der Sitzungswochen zum Übernachten die günstige Herberge einem Hotel vorzieht. Er muss dabei nicht mehr befürchten, dass es falschen Feueralarm gibt. In der Anfangszeit, so Dirk Harder, sei der sehr empfindlich gewesen: „Der Alarm wurde schon ausgelöst, wenn nur jemand Haarspray benutzt hat.“
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