Landeshauptstadt: Zehn nach Sieben in der DDR
Zum 70. Geburtstag des Weinberg-Gymnasiums entsteht ein Film. In den Hauptrollen: Prominente Schüler
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Den Staatsbürgerkunde-Lehrer, den konnte Matthias Platzeck wohl nicht so gut leiden. Der war „so ein Hundertfünfzigprozentiger, der dachte jedes Mal wenn einer “ne Frage stellt, das ist gleich Klassenkampf“. Nun ja, diese Worte sind jetzt auf Video gebannt. Und so erfährt er vielleicht doch noch, was sein ehemaliger Schüler an der Weinbergschule in Kleinmachnow von ihm dachte.
Zumindest, wenn Lilian Schulze und Anja Karg sich entscheiden, diese Szene für den Dokumentar-Film über ihre Schule zu verwenden, den sie zum 70. Geburtstag des Weinberg-Gymnasiums im nächsten Jahr drehen. Der Ministerpräsident ist schon der Dritte, den sie befragen. Aber trotzdem ist es mit ihm aufregender als mit den anderen beiden, findet Lilian. Insgesamt fünf ehemalige Schüler des Weinberg-Gymnasiums in Kleinmachnow wollen Lilian und Anja bis zum Sommer über ihre Schulzeit befragt haben. Darunter die DDR-Schriftstellerin Daniela Dahn, aber auch Schüler der ersten Generation, die später vom Unterricht befreit wurden, um beim Zweiten Weltkrieg mitzukämpfen. Für ihr Projekt haben die Schülerinnen der Film-Arbeitsgemeinschaft alte Namenslisten aus dem Schularchiv abtelefoniert, andere haben sich selbst gemeldet, weil sie von der Dokumentation gehört hatten – dank eines der ersten Schülerzeitungsredakteure, der auch heute noch als 80-Jähriger jedes Jahr eine Weinberg-Zeitung herausbringt. Für das Interview mit dem Ministerpräsidenten gestern, haben sie bei der Staatskanzlei angefragt. Als Matthias Platzeck dann in dem schwarzen Ledersessel im Versammlungsraum der Staatskanzlei Lilian gegenüber sitzt, stellt aber erst einmal er die Fragen: „Gibt“s denn schon einen vernünftigen Sportplatz?“ Nein, den gibt es auch nach fast 40 Jahren noch nicht. Aber ansonsten hat sich viel verändert seit der Teenager Matthias Platzeck jeden Morgen am Bassinplatz „zehn nach sieben in den Schulbus“ stieg. „Sehr gern“ sagt er. Die 18 Kilometer bis nach Kleinmachnow verbrachte er meistens hinten auf der Viererbank. Dort konnte man am besten Skat spielen. Lilian und Anja, die hinter der Kamera sitzt, erfahren, dass der Unterricht teilweise in halben Klassen mit zehn Schülern stattfand, vom Tag in der Produktion im Geräte und Reglerwerk Teltow, von den Patenbrigaden dort. Wieso er als Potsdamer überhaupt in Kleinmachnow zur Schule gegangen ist, will Lilian wissen. Er habe sich eben schon immer für Mathematik und Physik interessiert. Darum hat er auch nach der sechsten Klasse an den beiden Aufnahmeprüfungen der naturwissenschaftlichen Oberschule in Kleinmachnow teilgenommen. Und bestanden, obwohl der mündliche Test „richtig gemein“ war. Aber dafür hatte er auch Lehrer – wie seinen Klassenleiter – , die ihn „geprägt“ haben. Den Staatsbürgerkundelehrer wohl ausgenommen. Irgendwie muss dieser das auch gespürt haben. Jedenfalls hat er sich einmal beim Rektor beschwert, dass die Schüler der elften ihn nicht ernst nähmen. Nicht, dass jetzt der Eindruck entsteht, der junge Platzeck sei ein Oppositioneller gewesen: „Wir waren alle Mainstream, gut ausgerichtet.“ Schließlich sollte die Spezial-Schule im Bezirk Potsdam unter Walter Ulbricht eine sozialistische Kaderschmiede werden.
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