Landeshauptstadt: Zeichen der Zeit
Das Potsdamer Schiller-Gymnasium unterrichtet als einzige Schule in Brandenburg Chinesisch
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Was heißt Bundeskanzlerin auf Chinesisch? Liánbáng zongli, schreibt Lehrer Hu an die Tafel und setzt mit flinken Kreidestrichen das passende Schriftzeichen daneben. Und wie nennt man Mediengestalter, Eventmanager, Wirtschaftsberater?
Im Chinesischkurs der 12. Klasse am Potsdamer Schiller-Gymnasium entspinnt sich ein heiteres Beruferaten. Die Schüler versuchen in der fremden Sprache zu sagen, was sie einmal werden wollen. Und nicht selten hat die Motivation, ausgerechnet Chinesisch zu lernen, etwas mit dem Berufswunsch zu tun. Lukas zum Beispiel liebt die asiatische Küche und könnte sich gut vorstellen, einmal als Koch in China zu arbeiten. Dania würde gern internationale Messen organisieren und Christopher will nach dem Studium in einem global agierenden Unternehmen Fuß fassen. Angesichts der wachsenden Wirtschaftsbeziehungen zu China können die Sprachkenntnisse nur von Vorteil sein, meint er. Deshalb vor allem hat er sich für das Schiller-Gymnasium entschieden, die einzige Schule in Brandenburg, die Chinesisch als zweite Fremdsprache unterrichtet.
Seit seiner Gründung vor sechs Jahren setzt das private Gymnasium auf interkulturelle Kompetenz. Träger ist die Deutsch-Chinesische Gesellschaft für Aus- und Weiterbildung, deren Geschäftsführerin Zhu Li die besten Kontakte in ihr Heimatland für die Schule nutzbar macht. So lernen hier nicht nur deutsche Jugendliche Chinesisch, sondern umgekehrt auch junge Chinesen Deutsch und legen gemeinsam das Abitur ab. „Es ist schon interessant zu sehen, wie die Schüler in den Kursen kommunizieren“, freut sich der stellvertretende Schulleiter Raiko Ritzka über das selbstverständliche Miteinander. „Schade, dass die Einreisebestimmungen für unter 18-Jährige eingeschränkt wurden und wir nun keine Gastschüler mehr aufnehmen können“, bedauert er und kann nicht verstehen, warum dieser auch wirtschaftlich wichtige Bildungsaustausch abgeschnitten wurde. „Viele der chinesischen Absolventen studieren inzwischen naturwissenschaftliche und technische Fächer und werden künftig als Deutsch sprechende Experten gute Vermittler in den Wirtschaftsbeziehungen beider Länder sein können“, argumentiert Ritzka. Aber auch für die Chinesisch lernenden Deutschen ist der Kontakt enorm wichtig, um die fremde Sprache im Alltag ausprobieren zu können.
Lehrer Ying Hu, der als Dozent an der Universität Potsdam unterrichtet, bestätigt, wie wichtig die richtige Betonung der chinesischen Wörter ist, um ihren Sinn nicht zu entstellen. Und das könne man eben nur durch häufiges Sprechen lernen. Die 45 Minuten viermal in der Woche reichen da nicht aus.
Auch die Schüler hätten gern mehr Zeit für Chinesisch. Was auf den ersten Blick kompliziert und schwer erlernbar erscheint, meistern sie ohne größere Probleme, attestiert ihnen Lehrer Hu. Immerhin müssen sie sich jedes Wort doppelt einprägen: in der Lautschrift und als Zeichen. Wenn sie gemeinsam Texte laut lesen, dann hört es sich an, als sängen sie eine Melodie. Die eigenartige Aussprache und die Identifizierung der Schriftzeichen empfinden die Schüler als besondere Herausforderung. „Das ist etwas, das nicht jeder kann“, sagt Benjamin, der oft ganze Blätter mit Zeichen vollschreibt, um zu üben, oder auch nur, weil es ihm Spaß macht.
60 bis 80 000 Schriftzeichen kennt die chinesische Sprache. Gebräuchlich sind etwa 2500 bis 3500. „Damit könnte man dann schon Zeitung lesen“, sagt Ying Hu.
Eine Entschädigung für das mühselige Zeichenlernen ist die relativ einfache Grammatik. Verben werden nicht konjugiert, Substantive nicht dekliniert. Und auch die Darstellung der Zeitformen hält sich in Grenzen.
Der Rahmenlehrplan, der vom Schiller-Gymnasium selbst geschrieben und vom brandenburgischen Bildungsministerium anerkannt wurde, sieht vor, dass sich die Schüler im Sprachunterricht auch mit dem Alltagsleben, der Geschichte und Kultur Chinas beschäftigen. Die empfohlenen Lehrtexte tragen so wohlklingende Titel wie „Prosa bei der Klippe von Chibi“ oder Konfuzius’ „Über das Gute“. Das moderne China hingegen vermittelt sich im Unterricht am besten über Zeitungen und visuelle Medien oder aber über den direkten Austausch mit chinesischen Jugendlichen. Dass dies auch in Zukunft wieder möglich ist, dafür wird sich das Schiller-Gymnasium einsetzen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in China.
Antje Horn-Conrad
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