
© M. Thomas
Homepage: Zeit der Hindernisse
Die Gründungsväter der Uni hätten Bewegung in die Bildungslandschaft bringen können – aber Experimente ließ das Hochschulrahmengesetz nicht zu
Stand:
In diesem Jahr begeht die Universität Potsdam ihr 20-jähriges Jubiläum. Die PNN lassen aus diesem Anlass gemeinsam mit der Hochschule wichtige Erinnerungen aus den vergangenen 20 Jahren wach werden.
Die Politik war geprägt von einem Neubeginn gelebter, parlamentarischer Demokratie im besten Sinne. Und dabei war der Wert der Freiheit auch der gemeinsame und entscheidende Inhalt jenes Grundkonsenses, der die damalige Aufbruchstimmung trug, mit der wir alle ans Werk gingen. Für die große Mehrheit war es der Neubeginn einer persönlichen und politischen Dimension des verantwortlichen Gestaltungswillens und Gestaltens - auch vielleicht des Lernens. Andere wie ich, die diesen Prozess unterstützten, dabei helfen wollten, standen fassungslos vor dieser zum Teil radikalen und unverfälschten Rückbesinnung auf demokratische Werte und Verfahren. Manchen alt erfahrenen parlamentarischen Hasen aus dem Westen sträubten sich die Haare, sahen sie doch 40 Jahre bundesrepublikanische politische Praxis auf dem Prüfstand. Aber das war auch notwendig.
Denn die alte Bundesrepublik war in vierzig Jahren behäbig und reformunfähig geworden. Die Arbeit von Bundestag und Landesparlamenten war vielfach in Ritualen erstarrt, die in der Bevölkerung zu einer wachsenden Politikverdrossenheit führten. Der Geist der Verfassung und die Verfassungswirklichkeit drohten immer mehr auseinanderzudriften. Da hätte die Aufbruchstimmung im Osten für einen echten Weckruf sorgen können. Stattdessen legte sich der Anpassungsdruck aus dem Westen wie ein Mehltau über die Kreativität und Innovationsbereitschaft einer jungen demokratischen Bewegung. Aber auch wenn das gemeinsam erreichbare Neue Vision blieb, ist enorm viel auf den Weg gebracht worden. Schon die Tatsache, dass wir die deutsche politische Landschaft und Farbenlehre um ein neues Element bereichert haben, war aufregend. Die Ampel aus SPD, Liberalen und Bündnis 90 erwies sich als überaus tragfähiges und erfolgreiches Politik-Modell.
Vor diesem Hintergrund muss man das Jahr 1991 als ausgesprochen ambivalent für Hochschulgründungen bezeichnen. Aus meiner einschlägigen hochschulpolitischen Erfahrung im Westen wusste ich, dass Hochschulen und Politiker Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre ihr Pulver in diversen Hornberger Schießen endgültig verschossen hatten. Als man den „Mief von 1000 Jahren unter den Talaren“ lüften wollte, ist man in einer breit angelegten Reformdiskussion stecken geblieben. Reformen selbst sind nicht ins Freie gekommen oder nur als Bulimie-Variante. Schon die Verabschiedung des ersten Hochschulrahmengesetzes war ein gesetzgeberisches Trauerspiel in mehreren Legislaturperioden und mit mehr Reformleichen als in einem durchschnittlichen Shakespeare-Drama. Und Ende der siebziger Jahre kam zu der inhaltlichen auch noch die finanzielle Misere, als man durch die Untertunnelung des vermuteten Studentenberges die Hochschulen in eine strukturelle Unterfinanzierung trieb, an der sie heute noch leiden.
Angesichts dieser Tatsache durften wir uns im Osten eigentlich nicht an einem in Reformunfähigkeit erstarrten und verkrusteten System orientieren. Mein Credo lautete deshalb: Im Westen nichts Neues - Ex oriente lux! Aber wir hatten unsere Rechnung ohne das Hochschulrahmengesetz gemacht, das im Einigungsvertrag - ohne jede Experimentierklausel - für die ostdeutschen Länder Gültigkeit erhalten hatte. Für die Wirtschaft gab es übrigens solche Klauseln. Damit waren unserer Kreativität und Innovationsbereitschaft enge Grenzen gesetzt. Als zweiter ausgesprochen reformunfreundlicher Faktor erwies sich überraschenderweise der Wissenschaftsrat. Hatte er sich bei der Evaluierung der Forschungsinstitute noch mit innovativer Reformbereitschaft engagiert, wurde bei den Hochschulen ein Maßstab angelegt, der von Anpassung bis Gleichschaltung reichte.
Trotzdem ist bereits im Sommer 1991 ein Hochschulgesetz - und zwar einstimmig - verabschiedet worden, das die Spielräume für Reformen und Innovationen so weit wie möglich ausgeschöpft hat und das auch vom parlamentarischen Beratungsstil Maßstäbe gesetzt hat. Und das war auch die Geburtsstunde der Universität Potsdam.
Hinrich Enderlein (FDP), geboren 1941 in Luckenwalde, war von 1990 bis 1994 brandenburgischer Wissenschaftsminister
Hinrich Enderlein
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