Links und rechts der Langen Brücke: Zeit für Ratlosigkeit
Henri Kramer über fehlenden politischen Instinkt in Potsdam
Stand:
Eine Urlaubsreise einer Aufsichtsratschefin mit dem untergebenen Geschäftsführer, ein Groß-Investor, dem der Verwaltungschef selbst im Protesthagel nicht beispringt, ein Fraktionschef, der seine Kollegen vor aller Augen unter Druck setzt, in dem er bei einer geheimen Personenwahl zur Sitzblockade aufruft – nach dieser Woche ist Ratlosigkeit angesagt. Wo nur ist der politische Instinkt wichtiger Handlungsträger in der Stadt geblieben?
Da verpasst die Stadt mit den Seefestspielen ein jährliches Festival, das zehntausende Besucher nach Potsdam gelockt hätte, inklusive Steuereinnahmen für die Stadtkasse. Warum hat der Oberbürgermeister nicht von Anfang öffentlich diese Chance betont? Er hätte unmissverständlich signalisieren müssen, dass Potsdam das Festival wolle, er hätte eine Task Force einberufen können, um die Pläne – natürlich ergebnisoffen – zu prüfen. Jakobs hätte den professionellen Veranstaltern den Rücken freihalten müssen. Dann wäre deren entnervter Rückzug in dieser Woche wohl verhindert worden. Nun muss sich Jakobs den Vorwurf gefallen lassen, die Seefestspiele nicht zur Chefsache gemacht zu haben. Und er muss den Imageschaden für Potsdam verantworten.
Der politische Instinkt hatte wohl auch Sozialdezernentin Elona Müller-Preinesberger verlassen, als sie und ihr Lebenspartner im vergangenen Frühsommer mit dem Geschäftsführer des städtischen Bergmann-Klinikums, Steffen Grebner, und dessen Frau zum Kurzurlaub nach Tirol fuhr – im Dienstwagen des Klinikums. Eine private Reise, privat abgerechnet, doch politisch sehr heikel: Müller-Preinesberger muss als Aufsichtsratschefin über die Entwicklung des Klinikums wachen, auch über Grebners umstrittene Wachstumsstrategie. Da ist persönliche Nähe nicht gefragt, im Gegenteil: Sie untergräbt die Glaubwürdigkeit einer Kontrollinstanz. Pikant: Nur durch Zufall wurde die private Reise publik.
Ganz öffentlich ließ Linke-Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg in der jüngsten Stadtverordnetenversammlung politischen Anstand vermissen: Als es um die geheime Urnenwahl der Sozialdezernentin ging, sagte Scharfenberg, seine Fraktionskollegen würden daran nicht teilnehmen – kaum zu glauben, dass er mit dieser Instinktlosigkeit nicht seine Fraktionäre unter gehörigen Druck gesetzt hat.
Eine simple Erklärung für solche Irrungen führte am Mittwoch der Grünen-Stadtverordnete Andreas Menzel an, als er samt Messgerät nachwies, dass bei den Sitzungen im Plenarsaal der Stadtverordnetenversammlung die Luft wegen zu hoher Kohlendioxid-Werte zu schlecht wird. Er empfahl regelmäßigeres Lüften.
Das allein dürfte nicht reichen.
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