Landeshauptstadt: Zeitmesser für die Ewigkeit
Der Laden des Uhrmachers Detlef Walinski ist ein Treffpunkt für Liebhaber und Sammler
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Punkt zehn beginnt es. Das stete Ticken und Klackern wird überlagert von einem Teppich aus Gongs, Glockentönen und rhytmischem Rattern. Und Annegret Walinski, Ehefrau und Mitarbeiterin des Uhrmachermeisters Detlef Walinski, dreht das Schild innen an der Ladentür um. „Geöffnet“ zeigt es dann. Draußen wartet bereits ein Kunde. „Schön, dass hier noch Deutsch geschrieben wird“, sagt der Herr und zeigt auf das Schild. Er packt eine Uhr auf den Tresen und Walinski klappt seine altertümliche Brille mit den doppelten Gläsern zum Vergrößern herunter.
Das kleine Geschäft mit Werkstatt in der Friedrich-Ebert-Straße könnte als Museum durchgehen. Sämtliche Wände, Vitrinen und Regale sind bestückt mit Hunderten, bestimmt an die tausend Uhren verschiedenster Größe und Art – Dokumentation der Zeitmessung der letzten drei Jahrhunderte. Und mittendrin zwei Standuhren, mehr als zwei Meter hoch, mit Türen, hinter denen man das jüngste der sieben Geislein aus dem Grimms-Märchen vermuten könnte. „Vielleicht sollten wir Eintritt nehmen“, sagt Kathrin Walinski augenzwinkernd. Die 31-jährige Uhrmacherin arbeitet, wie Mutter und Schwester, in dem Familienbetrieb. Wenn der Chef, jetzt 64 Jahre alt, eines Tages in den Ruhestand geht, wird die nächste Generation übernehmen.
Das war schon immer so. Familie Walinski stammt aus Danzig und führte die Uhrmachertradition in Deutschland, wohin es sie nach dem Ersten Weltkrieg verschlug, fort, seit 1998 am jetzigen Standort in der Ebert-Straße. Aus ganz Deutschland kommen Kunden oder schicken ihre Uhren hierher. Weil Walinski alles repariert und Schätze hat, die sonst nicht so leicht zu finden sind.
Es seien zumeist Männer, die eine Uhrensammelleidenschaft hegen und pflegen. Denn eine ordentliche Uhr ist der einzige Schmuck, der dem Mann gestattet ist, meint der Uhrmacher. Damenuhren hat er nur wenige, dafür aber sind sie besonders schick. Kunstvolle metallende Armbänder oder Reifen mit ovalen oder eckigen Uhren. Die sind meist sehr klein, so wie das in den 60er- und 70er-Jahren üblich war. Heute mag man es größer, sagt Walinski, die Herrenuhr von damals wird mittlerweile gern von Frauen getragen.
Sein Schatzkistlein ist eine ganz ordentliche Auswahl an Glashütte-Herrenuhren. Die Produkte dieser DDR-Firma waren und sind noch immer bekannt für Qualität. Russische waren auch nicht schlecht, sagt Walinski, aber die Glashütter seien damals das Beste gewesen, was es auf dem sozialistischen Markt gab. Fans bezahlen hier bis zu 400 Euro für so eine klassische Herrenuhr im unaufdringlich-schönen, zeitlosen Design. Oder schicken ihre eigenen bei Walinski durch den Uhren-TüV. Er hat noch Ersatzteile, die anderswo nicht mehr zu bekommen sind. Er freut sich auch über kaputte Uhren als Ersatzteilspender, große, kleine. Ein ganzer Strauß Uhrenpendel hängt an einer Wand und wartet auf neue Verwendung.
Denn mit den Uhren sei das ein bisschen wie mit Autos. Sie brauchen regelmäßig eine Durchsicht, damit sie gar nicht erst kaputt gehen. Ein Auto aber meldet sich, wenn etwas nicht stimmt, sagt Walinski. „Doch eine Uhr leidet still vor sich hin, während sie noch läuft.“ Das tue ihr nicht gut. Alle paar Jahre sollte man sie komplett auseinandernehmen und reinigen lassen, Reste von Ölen und Schmiermitteln entfernen, beschädigte Teile ausgetauschen. „Aber wer macht das schon – eine Uhr wegbringen, die noch geht?“, klagt er. Dabei sind Qualitätsuhren für die Ewigkeit gemacht.
Eineinhalb Stunden etwa dauert so ein Uhren-Check. Auch das Äußere wird bei Bedarf aufgemöbelt, die Öberflächen eventuell neu vergoldet, bis alles wieder schick aussieht. Im Werkstattbereich stehen Reguliergerät und Dichtigkeitsprüfer, eine Poliermaschine. In den Regalen lagern die Patienten, reihenweise Buffetuhren aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, damals in fast jedem Wohnzimmer zu finden. Die werden hier wieder flottgemacht und bekommen in der Regel bis zu eine Woche Rekonvaleszenz aufgebrummt. Denn erst wenn die Uhr nach dieser Probezeit noch immer genau geht, darf sie abgeholt werden. Das sei die Sorgfaltspflicht, die ein Uhrmacher beherzigen sollte, sagte Walinski.
Neben modernen oder zumindest jüngeren Herren- und Damenuhren gibt es bei Walinski auch zum Mitnehmen Kostbarkeiten, die einst für herrschaftliche Kaminzimmer oder bürgerliche Wohnzimmer gefertigt wurden. Für die Schreibtische der Herrenzimmer, die Salons der Damen. Üppig verzierte Blickfänge, Pendule des französischen Rokoko, schön schörkellig, vergoldet und oft mit sinnlichen Figuren bestückt, nackte Knaben, liebliche Mädchen. Wer es sich leisten konnte, kaufte damals schon dreiteilige Garnituren, bei denen die Uhr von zwei passenden Leuchtern flankiert wird – damit es nach was aussah auf dem breiten Kamin, sagt Walinski. Daneben steht beginnender Jugendstil, Uhrengehäuse aus glattem, weißen Marmor, und stilisierter französischer Art-Déco. Mehrere Tausend Euro kostet so ein Schätzchen. Die Schweizer Athmos, eine Tischuhr aus den Siebzigern in klarem, übersichtlichem Design, ist auch etwas Besonderes. Deren Uhrwerk wird lediglich über Temperaturschwankungen angetrieben. „Fast wie ein Perpetuum Mobile“, sagt Walinski liebevoll.
Über seine Uhren kann er viel erzählen. Erklärt, dass meist zuerst das Gehäuse einer Uhr fertig war, dann kam das Uhrwerk hinein, das Ziffernblatt als letztes. Und erst dann fiel die Entscheidung, welcher Stil es letztlich sein soll. „Das Gehäuse ist noch historistisch, das Ziffernblatt Jugendstil“, erklärt Walinski anhand einer Wanduhr aus dem Schwarzwald.
Umfangreich ist die Taschenuhrsammlung. Aus dem 18. Jahrhundert stammt die älteste. Sieht schön aus, geht aber noch nicht so genau wie spätere Modelle. „Man orientierte sich damals an der Kirchturmuhr. Eine eigene Uhr hatten die wenigsten. Und wenn, dann kam es auf eine Viertelstunde Differenz nicht an“, sagt der Meister.
Uhren-Walinski, Fr.-Ebert-Str. 24
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