Landeshauptstadt: Zeitzeugen saßen im Saal
Gespräch über die Garnisonkirche im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte
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Zum 40. Jahrestag der Sprengung des Garnisonkirchturms am 23. Juni 1968 hatte die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau zu einem Zeitzeugengespräch in das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte eingeladen. Auf dem Podium waren allerdings die Zeitzeugen spärlich vertreten: Da saßen die Architektin Karin Flegel und der Historiker Rainer Eckert, die 1968 noch in Leipzig im Sandkasten gebuddelt haben, und der noch jüngere Publizist Frank Schirrmacher aus Frankfurt am Main. Aus der eigenen Erinnerung schöpfen konnten dagegen Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe, damals bei der Evangelischen Kirche angestellt, in die Bemühungen um die Erhaltung des Gotteshauses allerdings nur am Rande involviert, und der Linkspolitiker Heinz Vietze, 1968 ein 20-Jähriger Funktionär der Freien Deutschen Jugend (FDJ).
Vietze legte dann auch mit einer Begründung des Abrisses los, die einer Rede vor der FDJ-Kreisleitung alle Ehre gemacht hätte. Seinen Pathos der 1960er Jahre ließ er allerdings weg und gefiel sich in der Rolle des neutralen Beobachters der Ereignisse. Damit kam er aber nicht durch, denn die wahren Zeitzeugen saßen im Publikum. Eine alte Potsdamerin, die an der Breiten Straße aufgewachsen ist, fragte ihn, wie er seine damalige Rolle einschätze (darauf gab es keine Antwort) und ob nicht die Linkspartei als Wiedergutmachung einen finanziellen Beitrag zum Neuaufbau des Kirchturms leisten wolle. Darauf antwortete der Politfuchs kaltblütig, das Land Brandenburg erhalte aus dem konfiszierten SED-Vermögen jährlich acht Millionen Euro, die könne es ja dafür einsetzen.
Wie erwartet meldete sich der Stadtverordnete Lutz Boede (Die Andere) als Wiederaufbaugegner zu Wort. Mit Unterstützung eines jungen Sekundanten, der seinen Name nicht nennen wollte, wies er auf die enge Verbindung von Kirche und preußischem Militarismus in den 1930er Jahren hin und machte geltend, dass durch einen Wiederaufbau des Garnisonkirchturms eine „bedeutende Leistung der DDR-Architektur“, nämlich das Rechenzentrum, abgerissen werden müsse. So wie das alte sei auch das sozialistische Potsdam eine planmäßig angelegte Stadt, die Schutz verdiene. Moderator Frank Schirrmacher fragte daraufhin das Publikum, ob es lieber in einer sozialistischen oder einer barocken Planstadt mit wiederhergestellten Baudenkmalen leben wolle, und hatte die Lacher auf seiner Seite.
Die teils hitzig geführte Diskussion veranlasste Manfred Stolpe, Toleranz gegenüber anderen Ansichten anzumahnen. Er sieht eine wiederaufgebaute Garnisonkirche als Ort des Friedens und der Versöhnung. Ein Wallfahrtsort für Rechtsextreme werde sie nicht werden. Dieses Gespenst sei unsinnigerweise auch an die Wand gemalt worden, als die Särge der Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. 1991 nach Potsdam zurückgeführt wurden. Musste man eingangs angesichts der Äußerungen von Eckert und Flegel zum Abriss der Universitätskirche in Leipzig fürchten, die Diskussion gerate zu einem „Leipziger Allerlei“, glänzte dann vor allem die Architektin und Urania-Geschäftsführerin mit Interpretationen und Ideen. So erklärte sie unter Hinweis auf die heute gesichtslose Breite Straße, eine Wiederherstellung der Garnisonkirche und der Potsdamer Mitte sei jenseits aller politischen Diskussionen deshalb so wichtig, weil sich erst dann die Potsdamer in ihrer Stadt wieder richtig wohlfühlen könnten. Man solle nicht soviel reden, sondern endlich handeln, meinte sie und zeichnete spontan eine Spende für die Garnisonkirche. Damit traf sie wohl auch die Meinung von Gebhard Falk. Der nunmehr 80-jährige Wortführer des Widerstandes gegen die Sprengung und deshalb wohl wichtigste Zeitzeuge saß bescheiden im Publikum.
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