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In Selbstzerknirschung. Die Herren des hoffnungslos aufgeblähten Parteiapparates der DDR konnten den Wandel nicht wahrhaben. Sie erkannten ihren Untergang selbst dann nicht, als das Volk gegen sie aufstand. Hier die Premiere des Theaterstückes „Das Ende der SED“ im Auswärtigen Amt.

© Beate Nelken

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Potsdamer Zeithistoriker liefert Grundlage für Bühnenfassung des Untergangs der DDR-Obrigkeit

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Grau sind ihre Gesichter, grau ihre Kleider. Ihre Sprache mäandert ziellos zwischen unzähligen, sinnentleerten Worthülsen. Die Herren aus dem Zentralkomitee der DDR erkennen ihren Untergang auch dann nicht, als sie mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ aus den bis dahin herrschenden Machtstrukturen des verkrusteten Regimes gedrängt werden.

Aus Abschriften der Original-Tonbandmitschnitte der vier entscheidenden Sitzungen des SED-Zentralkomitee (ZK) im Herbst 1989 hat der Regisseur Hans-Joachim Frank vom „Theater 89“ in Kooperation mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) das zweieinhalb Stunden lange Theaterstück „Das Ende der SED“ verfasst. Veröffentlicht haben die Protokolle der Potsdamer Historiker Hans-Hermann Hertle vom ZZF und Gerd-Rüdiger Stephan. Das Politbüro veranlasste die Aufzeichnungen. Ihre Veröffentlichung war nie vorgesehen, heute sind sie jedoch archivarisch zugänglich. Als die Protagonisten auf der Bühne im Theaterstück endgültig durch rotgesichtige Puppen ersetzt sind, ist klar, dass die letzten, recht verzweifelten Versuche einer Selbstbesinnung der Nomenklatura gescheitert sind. Die DDR hat aufgehört zu existieren.

Ein Reigen der Verzweiflung entfaltet sich, unterbrochen vom Chor der Singakademie Frankfurt (Oder). Zunächst halten sich die Protagonisten noch an althergebrachten Ritualen fest. Mit sinnlosen Formalien versuchen sie, dem Protokoll entsprechend, das von draußen hereinbrandende Chaos zu bändigen. Als sich zeigt, dass der Fehler im System und nicht im ungebührlichen Aufbegehren des Volkes liegt, werden die bis dahin unantastbaren Herren nicht nur unsicher. Sie ergehen sich in weinerlichen Selbstbezichtigungen. Sie versuchen, an einer Politideologie festzuhalten, mit der sie jahrzehntelang systematisch die wirtschaftlichen Koordinaten ignoriert haben, die dem „ersten real existierenden Sozialismus“ auf deutschem Boden zugrunde lagen. „Die DDR ist das einzige Land, in dem Oldtimer in Serie produziert werden“, zitiert der Regisseur ein ZK-Mitglied. Danach deklamiert eine Funktionärin über den desolaten Zustand einer Fabrik. In der werden zwar neue Maschinen für einen Mehrschichtbetrieb aufgestellt, aber der Regen fällt durch das Dach und sammelt sich in Schüsseln, die zu diesem Zweck auf den funkelnagelneuen Produktionsgeräten stehen.

In seiner Bühnenfassung deutet Hans-Joachim Frank den Untergang der DDR, im Einklang mit dem Tonbandprotokollen, als Produkt einer bürokratisierten Ignoranz der politischen Führung gegenüber der offen zutage liegenden ökonomischen Misere. Bereits als Folge der ersten Ölkrise im Jahre 1973 und der daraus folgenden Verteuerung des Rohstoffs sei die Staatsverschuldung der DDR massiv gestiegen. Dies habe sich auf sämtliche Lebensbereiche ausgewirkt. Die DDR sei nicht in der Lage gewesen, auf der Grundlage ihrer eigenen Produktion zu existieren. Deshalb habe sie die notwendigen Importe mit immer teureren Devisen bezahlen müssen. Sogar Getreide sei in großen Mengen importiert worden.

Aus den zitierten ZK-Reden wird deutlich, dass die sozialistischen Ökonomen aufgrund entsprechender Studien durchaus um das Auseinanderklaffen von Ideologie und Basisdaten wussten. Vorschläge zur Lösung ignorierten die Verantwortlichen allerdings so lange, bis sie hinweggefegt wurden. „Wir haben Milliarden in unsere Chipproduktion gesteckt, mit dem Ergebnis, dass ein Mikrochip aus DDR-Produktion etwa hundertmal so teuer ist wie einer aus dem Westen“, stellt ein sozialistischer Wirtschaftsökonom frustriert fest. Nachdem sich DDR-Bürger in Bezirksverwaltungen lautstark Gehör verschafft haben, kann schließlich auch das ZK nicht länger weitermachen wie zuvor. Als sich die Mitglieder des hoffnungslos aufgeblähten Parteiapparates in Selbstzerknirschung ergehen und mit hehrem Pathos ihren Glauben an „Arbeiter und Bauern“ und an das selbst gebastelte Bild vom Kommunismus zu retten versuchen, interessiert sich „das Volk“ dafür schon lange nicht mehr.

Das Politbüro-Mitglied Günter Schabowski antwortet schließlich am 9. November 1989 irrtümlich in einem Radiointerview auf die Frage, wann die ausgearbeiteten neuen Reiseregeln in Kraft träten: „Das tritt nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich“. Da ist der Kampf um die ideologische Rechtfertigung der restlosen Verwirrung der Politchargen gewichen. Formuliert in angestaubten Bürokratenfloskeln gerät die Historie im Theaterstück unversehens zur Realsatire. Recht überzeugend spannt sich der Bogen vom anfänglichen Kampf um die Aufrechterhaltung der Disziplin bis hin zur letztendlichen Auflösung des staatlichen Herrschaftsapparates.

Die nächste Aufführung findet am 2. Juni um 19 Uhr in der Zionskirche in Berlin statt, Zionskirchstraße 32, 10119 Berlin. Infos unter Tel. 030-2824656 oder karten@theater89.de . Im Herbst wird das Stück voraussichtlich in Potsdam gezeigt.

Richard Rabensaat

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