Ausgesprochen KAPUSTE: Zorn
Es packt mich der Zorn, wenn ich höre, was derzeit, leider auch in Potsdam, so alles über Europa geredet wird. Ein Geschwätz, das nicht auszuhalten ist.
Stand:
Es packt mich der Zorn, wenn ich höre, was derzeit, leider auch in Potsdam, so alles über Europa geredet wird. Ein Geschwätz, das nicht auszuhalten ist. Europa ist zu einer Schönwetterinstitution verkommen, die, wenn es mal etwas bergab geht, abserviert gehört. Über tausend Jahre haben sich die Europäer keine Gelegenheit entgehen lassen, sich mit aller Macht die Köpfe blutig zu schlagen, und jetzt, wo es schien, wir seien endlich zur Vernunft gekommen, da glauben wir ach so tüchtigen Deutschen, zur Not auch ohne „die da in Brüssel“ auskommen zu können.
Ich weiß, wir alten Kerle sollten nicht alte Geschichten aufwärmen, das nervt. Ich tue es trotzdem, ich will zeigen, wie meine Europabegeisterung in mehreren internationalen Jugendcamps geprägt wurde.
Eines davon war im Jahr 1954 in Frankreich, zusammen mit Franzosen, Engländern, Holländern und Italienern. Ich wurde nicht einmal wegen der wenige Jahre zuvor in deutschem Namen begangenen Verbrechen angegriffen. Wir haben geredet, diskutiert, aber nie bierernst, besserwisserisch oder nachtragend, und wir haben getrunken und geblödelt. Eine Zukunft ohne ein geeintes Europa war für uns nicht vorstellbar.
Wir lebten in Reims, das im 1. Weltkrieg völlig zerstört und umgepflügt worden war. Die herrliche Krönungskathedrale, in der im Jahr 1962 de Gaulle und Adenauer die französisch-deutsche Freundschaft besiegeln würden, war von deutschen Artilleristen, die sie gut hätten aussparen können, zusammengeschossen worden. Ich hörte von den Franzosen kein Wort darüber.
Wir legten für ein Taschengeld in einem Arbeiterviertel Gehwege an, zusammen mit französischen Arbeitern. Da fiel kein Wort gegen uns drei Deutsche, nicht mal als wir uns anfangs wichtigmachten und zeigen wollten, wie deutsche Jungs zupacken können. An drei Häusern, vor denen wir arbeiteten, hingen Gedenktafeln für von Deutschen hingerichtete Franzosen. Wir wurden nicht darauf angesprochen.
Mittags aßen wir in Familien, und eine Woche lang waren wir Deutschen zu Tisch bei einem katholischen Priester. Nachher erfuhren wir, dass er in einem deutschen KZ eingesperrt gewesen war. Kein Wort von ihm darüber.
Mit dabei war auch Saki, ein Ägypter. Er studierte in Paris, was, weiß ich nicht mehr, da er ein charmanter Vogel war, nehme ich an, wie man blonde Europäerinnen am schnellsten ins Bett kriegt. Ob er noch lebt und sich in dem nahöstlichen Durcheinander nach europäischen Verhältnissen sehnt? Saki, falls du dich nicht an mich erinnern kannst: Ich bin der Junge mit dem schwierig auszusprechenden Vornamen, dem du aus Versehen einen schweren Pflasterstein auf den rechten Fuß geworfen hast. Macht es gut, ihr da drüben. Ihr habt euch, wie wir Europäer, lang genug die Köpfe blutig geschlagen.
Unser Autor ist ehemaliger Stadtverordneter der CDU und war Vorsitzender des Ausschusses für Kultur. Er lebt in Eiche.
Eberhard Kapuste
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: