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SERIE: Zufrieden in Vaters Fußstapfen

Eigentlich wollte Tilman Muthesius seinen eigenen Weg gehen und wurde doch Geigenbaumeister

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Bloß nicht in die Fußstapfen des Vaters treten! Es gab eine Zeit, da war dies ein Grundsatz für Tilman Muthesius. „Ich wollte tunlichst vermeiden dasselbe zu machen wie meine Eltern“, sagt Muthesius in seiner trockenen Art. Sein Vater Ingo Muthesius arbeitete in Berlin als Geigenbaumeister und hatte sich auf barocke Instrumente und hier vor allem auf die Gambe spezialisiert. Nichts gegen das Handwerk, aber Tilman Muthesius wollte seinen eigenen Weg gehen. „Typischer Generationenkonflikt“, sagt er. So hielt er sich, was seine beruflichen Planungen betraf, an seinen Urgroßvater Hermann Muthesius, der um 1900 in Berlin ein bedeutender Architekt war. „Und dann brauchte ich eine Gambe“, sagt er.

Tilman Muthesius lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Wir sitzen in seiner Werkstatt in der Waldmüllerstraße in Klein Glienicke. Beim Eintreten hat er verwundert unter seiner Brille hervorgeschaut und gefragt: „Wie kann ich Ihnen behilflich sein“. Erst ein Blick in seinen Kalender bestätigt ihm: „Ja tatsächlich, wir sind verabredet“. Im Hintergrund läuft Musik: Gamben und Laute zusammen mit orientalischen Instrumenten. An den Arbeitstischen sind zwei Mitarbeiter fast lautlos mit einer Geige und einem Barockcello beschäftigt. Obwohl die Formulierung Mitarbeiter etwas irreführend ist. Beide haben erst kürzlich ihre Meisterprüfung abgeschlossen und „müssen noch etwas Erfahrung sammeln“, wie Muthesius mit Blick und leichtem Lächeln in Richtung seiner Meistermitarbeiter sagt. Auch sie lächeln und schütteln die Köpfe. Und schnell wird klar, dass Tilman Muthesius ein Mann mit trockenem aber äußerst herzlichem Humor ist.

Damals, im Alter von 21 Jahren, brauchte Tilman Muthesius eine Gambe für ein eigenes musikalisches Projekt. Weil sein Vater gerade keine Zeit hatte, begann er unter dessen Anleitung das gewünscht Instrument selbst zu bauen. Heute im Alter von 52 Jahren braucht er es, Gamben zu bauen. „Gambe ist meine Passion“, sagt Tilman Muthesius. In seinem Gesicht ist keine Regung zu erkennen, aber sein Blick macht deutlich, dass dies nicht nur schön klingende Worte sind. Dann erzählt er von dem Kammermusiksaal Havelschlösschen, der gleich neben der Werkstatt liegt und in dem nach aufwendiger Sanierung monatliche Konzerte stattfinden. Regelmäßig sitzt Tilman Muthesius mit seiner Gambe selbst auf der Bühne.

Gamben zu bauen und zu spielen, für Tilman Muthesius geht das eine nicht ohne das andere. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Christiane Gerhardt hat er das Jaye-Consort Berlin gegründet, benannt nach Henry Jaye, einem bedeutenden englischen Gambenbauer des 17. Jahrhunderts. Zusammen spielen sie im Ensemble Celeste Sirene. Wer ein gutes Instrument bauen will, müsse tief in die Materie eindringen, sagt er. Das beschränkt sich für Tilman Muthesius jedoch nicht nur auf das Handwerk. Für ihn gehört intensives Spielen und Studium der Alten Musik dazu. Und ein ständiges Hinterfragen.

„Ich bin immer auf der Suche nach neuen Denkanstößen“, sagt er. Als im Laufe des 18. Jahrhunderts die Gambe durch das Violoncello verdrängt wurde, gingen mit der Zeit auch einige der historischen Arbeitstechniken verloren. „Lange glaubte man, dass gewölbte Böden bei Gamben immer per Hand gestochen wurden.“ Doch beim Restaurieren alter Instrumente kamen Tilman Muthesius erste Zweifel. Vieles deutete darauf hin, dass solche Böden auch gebogen wurden. Als er davon seinen Kollegen erzählte, winkten die nur ab. Dass da jemand kam und glaubte, die große Entdeckung gemacht zu haben, die Althergebrachtes widerlegt, hatten sie schon so oft gehört. Tilman Muthesius setzte sich in seine Werkstatt und probierte selbst, die Böden zu biegen. Mit Erfolg. Vorträge und Veröffentlichungen über diese Versuche haben ihm schließlich international Anerkennung gegeben.

Nach seiner Ausbildung in Berlin ging Tilman Muthesius für eine Zeit lang nach Paris. 1977 kaufte er ein Haus bei Hannover, dicht am Wasser, weil Segeln nach der Musik seine zweite Leidenschaft ist. Aber die Sehnsucht nach Berlin blieb. Als 1989 die Mauer fiel, reifte in ihm der Entschluss, zurück zu kommen. „Aber die Nähe zum Wasser war Voraussetzung. Seit 1991 hat Tilman Muthesius seine Werkstatt in Potsdam, zuerst im Babelsberger Weberviertel, dann zog er nach Klein Glienicke. “ Dichter als in Klein Glienicke kann er kaum am Wasser leben.

Spricht Tilman Muthesius über seine Arbeit, klingt das alles sehr sachlich. Doch es genügt ein Blick auf eines der von ihm gebauten Instrumente, ob nun ganz schlicht oder reich verziert, um zu erkennen, wie viel Leidenschaft und Detailversessenheit er in diese Arbeit steckt. Und hört man eines seiner Instrumente, dann ist da dieser Ton, fast körperlich spürbar, der sofort für ein Wohlgefühl sorgt.

Ein Jahr Wartezeit muss man einplanen, wenn man eine Gambe oder ein Barockcello, die mehrere tausend Euro kosten, aus seiner Meisterwerkstatt haben möchte. Auch den Nachbau reich verzierter Modelle bietet Tilman Muthesius an. Doch da kann der Preis ganz schnell in den fünfstelligen Bereich klettern. „Solche Verzierungen haben keine Auswirkungen auf den Klang. Die sind Luxus und Luxus kann kosten“, sagt er in seiner trockenen Art, in der ein gesundes Maß an Zufriedenheit mitschwingt. Dann lehnt er sich in seinem Stuhl zurück. Und es erübrigt sich die Frage, ob er jemals bereut hat, doch noch in die Fußstapfen seines Vaters getreten zu sein.

Weiteres im Internet:

www.gamben.de

INSTRUMENTENBAUER IN POTSDAM

Geigenbaumeister

Tilman Muthesius (5)

Dirk Becker

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