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Von Erhart Hohenstein: Zur Operation in den Keller

Krankenpflege im St. Josefs-Krankenhaus zwischen englischem Bombenangriff und russischer Besetzung

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Ein Volltreffer hatte das Internatshaus an der Zimmerstraße durchschlagen. Im Luftschutzkeller, wo die Schwesternschülerinnen Zuflucht suchten, barst ein Stützbalken, Staub erfüllte den Raum. Doch die Decke hielt stand. Hustend tasteten die Eingeschlossenen nach der Wasserflasche. Die Wucht des englischen Luftangriffs vom 14. April 1945 ebbte ab, für die Lehrschwestern war die Gefahr aber nicht vorbei. Ein Wasserrohr platzte, langsam lief der Keller voll. Die Luft wurde knapp. „Da half nur beten und warten“, sagt Pia Sophie Köhnke, heute 83 Jahre alt. Am darauffolgenden Vormittag hörten die verängstigten jungen Mädchen Geräusche von Hacke und Spaten. Luftschutzwarte gruben den verschütteten Ausgang frei.

Diesen Augenzeugenbericht der seinerzeit 18-jährigen Schwesternschülerin Sophie Schlieter und ihrer Kolleginnen hörten die Gäste der jüngsten Veranstaltung in der Reihe „Das St. Josefs-Krankenhaus am Kriegsende 1945“. Sie wird von einer Arbeitsgruppe organisiert, die für das 150-jährige Jubiläum des Krankenhauses im Jahr 2012 eine Chronik vorbereitet. Der Arbeitsgruppe gehören neben Stadthistoriker Hartmut Knitter auch Manfred Gläser und Michael Kindler als Chronisten der Katholischen Gemeinde an. Unermüdlicher Förderer und Antreiber ist der Ärztliche Direktor des Krankenhauses, Chefarzt Prof. Dr. Eckart Frantz.

Als die Schwesternschülerinnen am 15. April 1945 wieder das Tageslicht erblickten, bot sich ihnen ein Bild des Grauens und der Zerstörung. Im Keller nebenan waren 24 Schwerst- und unheilbar Kranke von einer Bombe zerrissen worden. Die von 26 Flüchtlingen bewohnte Baracke wurde dem Erdboden gleich gemacht, wahrscheinlich alle Bewohner getötet. Die mehr als 20 Zwangsverpflichteten in der „Ausländerbaracke“ traf dasselbe Schicksal. Die Gebäude zur Zimmerstraße hin waren völlig zerstört oder stark beschädigt. Ein großer Teil der Patienten musste nach Hermannswerder und Kloster Lehnin verlagert werden.

Im halb zerstörten St. Josefs-Krankenhaus setzten die Ärzte und Ordensschwestern ihre Arbeit fort. Da der OP-Saal nicht mehr benutzbar war, wurde im Keller operiert, zunächst ohne Gas und Strom. Einer dieser Räume, die mit grün fluoreszierender Leuchtfarbe gestrichen worden waren, existierte noch bis vor wenigen Jahren. Auch ihren Glauben hielten die Beschäftigten hoch. Anstelle der beschädigten Pfarrkirche St. Peter und Paul wurde die Krankenhauskapelle unter nahendem Geschützdonner zum Ort der Heiligen Messe. Oft saß Ordensschwester Angela fünf Stunden hintereinander an der Orgel. Nach der heimlichen Taufe der jüngsten Stauffenberg-Tochter Constanze wurde hier sogar ein französisches Zwangsarbeiterpaar getraut.

Am 30. April ging die Oberin Tarcisia mit einer weißen Fahne den anrückenden Sowjettruppen entgegen. Dienstverpflichtete Ukrainerinnen bezeugten menschliche Behandlung. Die Sowjets setzten zwei Ärzte ein, die den Krankenhausbetrieb weiterführten. Die Ordensschwestern wurden von den Soldaten kaum belästigt, die jungen Schwesternschülerinnen in der abgelegenen Privatstation untergebracht. Renate Becker trug ein Blickwechsel mit einem Soldaten eine kräftige Ohrfeige ihrer Ordensschwester ein. Klugerweise wurden die russischen Verwundeten in den Eingangsbereich des Krankenhauses verlegt. „Sie waren unsere Schutzengel und stoppten jedes Eindringen marodierender Soldaten“, berichtete die ehemalige Schwester Ulla Grobe. Das „andere Gesicht“ der Besatzer schilderte der 79-jährige Werner Schrank, Sohn des damaligen Chefarztes Hans Schrank. Sie drangen laut seiner Erinnerung mit den gefürchteten Rufen „Uhri, Uhri“ und „Frau komm!“ in die als Behelfskrankenhaus dienende Villa Liegnitz ein, wo auch Flüchtlinge und die Arztfamilie Platz gefunden hatten. Der Versuch, die Flüchtlingsfrauen vor Vergewaltigung zu schützen, hätte um ein Haar zu Schranks Erschießung geführt. Schließlich gelangt es ihm, sich mit seinen Angehörigen in das Hauptkrankenhaus zu retten. Dort wiederum war er den russischen Medizinern als erfahrener Kriegschirurg hochwillkommen.

Der unermüdliche Maschinenmeister Anton Kaschubowski, die gute Seele des Hauses, hatte mittlerweile die Enttrümmerung in die Wege geleitet. Der Schutt wurde auf dem Hof rings um die alte, noch heute stehende Kastanie aufgetürmt. Mit einer Feldbahn wurde er dann zu einer Senke an der Allee nach Sanssouci transportiert und dort eingegraben. Unvergesslich bleibt den Beteiligten das „Schuttfest“, das 1947 zum Abschluss der Aktion gefeiert wurde. Die Schwesternschülerin Rente Becker hatte ihre Ordensschwester damals um Arbeitskleidung für die Einsätze gebeten und eine sogenannte Pflegerschürze erhalten. Sie sollte von den Ordensschwestern, die nie nackt sein durften, in der Badewanne angelegt werden. „Sie können die Schürze ruhig anziehen, ich habe sie noch nie getragen“, ließ die Mentorin ihre Schülerin mit einem kleinen Lächeln wissen.

In Fortsetzung der Reihe soll es demnächst um René von Dongen gehen. Der später als Gefäßchirurg international bekannt gewordene Holländer war im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter ins St. Josefs-Krankenhaus gekommen. Chefarzt Hans Schrank hatte den Medizinstudenten in seine Operationen einbezogen und so einen Grundstein für dessen Karriere gelegt.

Erhart Hohenstein

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