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75 Jahre später. Schüler des früheren Realgymnasiums beim Klassentreffen.

© Klaer

Landeshauptstadt: „Zur Schule ohne Bücher“

Beim 75. Klassentreffen erinnerten sich Schüler des Realgymnasiums an ihre Zeit als Luftwaffenhelfer

Stand:

Im Tagebuch vermerkt Erich Neumann zunächst nur schlicht: „Zur Schule ohne Bücher“. Es war der 11. Januar 1944 und Neumann wusste, was ihn erwartet: Die älteren Jungs seiner Klasse am Realgymnasium – dem heutigen Einstein-Gymnasium in der Hegelallee – waren bereits ein Dreivierteljahr zuvor von der Schulbank weg als Luftwaffenhelfer in den Zweiten Weltkrieg eingezogen worden. Als Daheimgebliebener hatte er seine uniformierten Klassenkameraden sogar noch am ersten Einsatzstandort, einer Batterie auf dem Bornstedter Feld, besuchen können. Am 12. Januar 1944 folgte der Jahrgang 1928. „Vom Vorplatz der Schule abgeholt, über S-Bahn Potsdam-Westkreuz-Spandau weiter mit dem Vorort-Dampfzug nach Albrechtshof erreichten wir die ZVB-Batterie 6524“, schreibt Neumann in seinem Bericht über die Schuljahre. Die Aufgabe der Potsdamer Schüler: Das Demag-Panzerwerk am Stadtrand von Spandau gegen Tieffliegerangriffe schützen.

Beim Klassentreffen anlässlich der 75-jährigen Einschulung überreichte Neumann unlängst den Erinnerungsbericht in Heftform an seine ehemaligen Klassenkameraden. Der Kontakt hat sich trotz deutsch-deutscher Teilung über Jahre hinweg gehalten: Bereits zum 26. Mal traf sich die Klasse jetzt – es war gleichzeitig das dritte Treffen am alten Schulort. In der Aula des Gymnasiums wurden die zehn Herren – zwischen 85 und 86 Jahre alt und zumeist in Begleitung ihrer Ehefrauen – auch von der heutigen Schulleiterin Irene Krogmann-Weber empfangen. Mit der Schulzeit verbindet die Klasse nicht nur schrullige Lehrer, Jungenstreiche oder denkwürdige Tanzabende, sondern auch die Kriegszeit und die Monate als Flak-Helfer. Karl-Heinz Widdel, auch früherer Realgymnasiast, hatte einen Fotovortrag vorbereitet, dem die Mitschüler aufmerksam folgten, hier und da eigene Erinnerungen ergänzend.

In spartanisch eingerichteten Stuben mit Doppelstockbetten mit Strohsack waren die Jungen damals untergebracht, schreibt Erich Neumann in seinem Bericht. Als beklemmend erlebten die Schüler auch die direkte Nachbarschaft: Durch einen Elektrozaun getrennt gab es ein Konzentrationslager, deren Bewohner – „halb verhungerte Gestalten in ihren dünnen gestreiften Anzügen, auf deren Rücken rote, gelbe und blaue Dreiecke waren“ – im Panzerwerk arbeiten mussten. In der Dunkelheit habe man den KZ-Insassen gedrittelte Kommissbrote, die es im Überfluss gab, über den Zaun geworfen – bis das eines Tages beim Morgenappell ein NS-Führungs-Offizier strengstens untersagte.

Vier Wochen dauerte die Grundausbildung, bei der den Schülern das Schießen mit der Flugabwehrkanone – Flak – beigebracht wurde. Insgesamt fünf Mann waren dabei an einem Geschütz beschäftigt – unter anderem zum Entfernungsmessen, Visier einstellen und nachladen. Probegeschossen wurde auf dem Übungsplatz am Bahnübergang in Priort. Auch die verschiedenen Flugzeuge sollten die Schüler vom Boden aus erkennen lernen.

Aber auch normalen Schulunterricht gab es in der Stellung, wie Neumann berichtet: Dafür reisten die Lehrer extra an. Selbst Klassenarbeiten wurden geschrieben. Im Mai wechselten die Potsdamer zum Flugplatz Brandenburg-Briest, wo sie fast ein Jahr blieben und am 12. April 1945 einen Bombenangriff unbeschadet überstanden. Am 20. April 1945 wurde die Klasse dann noch nach Berlin gerufen, zur Verteidigung des Flugplatzes Schönwalde. Bis dahin sollten es die Luftwaffenhelfer nie schaffen: Sie gerieten ins Inferno des Kampfes um Berlin, einige kamen in russische Gefangenschaft. Neumann selbst gelang unter chaotischen Umständen der Weg nach Potsdam. „Mit meinem Detektorradio hörte ich dann am 8. Mai die bedingungslose Kapitulation Deutschlands, und damit war für mich nunmehr der Krieg beendet.“ J. Haase

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