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Sport: Zurück in die Mitte

Das U 19-Nationalteam Myanmars absolviert eine Wettkampfreise rund um Berlin. Es ist die Vorbereitung für das erste bedeutende Fußballturnier in der ehemaligen Militärdiktatur seit vielen Jahrzehnten

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Viele Erinnerungsfotos mit der Tribüne des Karl-Liebknecht-Stadions im Hintergrund, anschließend noch ausgiebige Dehnübungen auf dem Rasen – die Fußballer der U 19-Nationalmannschaft aus Myanmar nutzten noch ein wenig den warmen Dienstagabend zur Regeneration. Die Asiaten hatten gerade ihr Testspiel beim Viertligisten SV Babelsberg 03 nach einer guten Leistung mit 0:2 verloren (PNN berichteten). Immer wieder schauten sie interessiert nach rechts, wo Stadionsprecher Thomas Hintze mit einigen Fragen die neuen SVB-Spieler ein wenig vorstellte.

Die weite Reise aus dem südostasiatischen Land, das in Deutschland als Birma bekannter ist, hatte die Mannschaft allerdings nicht den Babelsbergern zuliebe gemacht. 25 talentierte Nachwuchsspieler sind derzeit auf einer Wettkampftour im Raum Berlin unterwegs. Unter anderem waren sie beim BFC Dynamo (2:3), dem Berliner AK (1:2) und der U 19 von Energie Cottbus (4:5) zu Gast.

Die Reise ist kein gewöhnlicher Wettkampftrip. Im Oktober 2014 wird in der ehemaligen Hauptstadt Yangon die asiatische U 19-Meisterschaft ausgetragen. Nach den Südostasien-Spielen 2013 und den Paralympic-Games für Asien 2014 ist es das dritte größere Sportereignis und das erste größere Fußballturnier, bei dem das Land nach Jahrzehnten der Abschottung wieder als Gastgeber auftritt.

Beim Turnier geht es dabei nicht nur um dem sportlichen Erfolg – die ersten vier Teams fahren zur U 20-Weltmeisterschaft 2015 in Neuseeland –, sondern auch um einen weiteren Schritt, zur Normalität zurückzukehren. Zwischen 1962 und 2010 stand das Land unter Militärherrschaft. Mehrere Aufstände wurden gewaltsam niedergeschlagen, ehe die Militärs auf politischen Druck hin im Jahr 2010 das Land mit demokratischen Wahlen langsam wieder öffneten. Zuletzt allerdings wurden fünf Journalisten, die über eine Waffenfabrik an der Küste berichteten, wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen zu zehn Jahren Haft und harter Arbeit verurteilt. Ein Erfolg im eigenen Land könnte solche Entwicklungen etwas aus dem Fokus nehmen.

Trainiert wird die Mannschaft von einem Deutschen. Gerd Zeise, 61 Jahre alt, war Ende der 1990er-Jahre Manager und Trainer in Wuppertal und Essen und arbeitet seit vier Jahren in Myanmar. Er hat die Schwachpunkte ausgemacht, die dem Erfolg seines spielerisch begabten und technisch beschlagenen, aber nicht sehr groß gewachsenen Teams im Wege stehen: wenig Zweikampfhärte, wenig Wettkampferfahrung. Deshalb treten seine Spieler alle zwei bis drei Tage zu einem Spiel an, „wie im Turnier“, sagt Zeise. „Wir müssen körperlich stärkere Gegner finden.“ Daran gibt es in Deutschland keinen Mangel, in der Heimat dagegen fehlen gleichwertige Gegner. Auch die A-Nationalmannschaft Myanmars, erzählt Zeise, würde nicht gegen seine Mannschaft antreten – sie würde möglicherweise verlieren. „Das ist die kommende Nationalelf“, sagt Zeise über sein Team, das in einem Hotel in Blankenfelde untergebracht ist.

Für den Erfolg hat Zeise aber auch noch etwas anderes angestoßen. Das in Asien übliche Standardgericht „Reis mit ein wenig Fleisch“ wurde zugunsten von Nudeln, Kartoffeln, Brot und mehr Fleisch umgestellt. Leistungssportler müssen sich entsprechend ernähren, verrät Zeise. Bei der Tour in Deutschland bleibt sogar der Reis jetzt häufiger mal stehen – so geschah es auch am Dienstag im VIP-Raum des Karl-Liebknecht-Stadions, wo Mannschaft und Betreuer verköstigt wurden.

„Wir haben uns in den 15 Tagen hier enorm verbessert“, sagt Zeise, der sich zahlreiche Komplimente für sein Team anhören durfte. Drei bis vier seiner Akteure, davon ist er überzeugt, könnten auch in Europa eine gute Rolle spielen. Angebote gebe es keine, einer hat allerdings Interesse signalisiert, sagt Zeise: Artur Wichniarek, ehemaliger Bundesliga-Profi bei Hertha BSC und Arminia Bielelfeld und jetzt auf Spielersuche für Lech Poznan. Noch eine Woche bleibt das Team in Deutschland, nachdem es eine Einladung nach England zu West Ham United mangels rechtzeitig beantragter Visa nicht annehmen konnte. Dafür titt es nach dem heutigen Spiel bei Hertha Zehlendorf am Samstag beim tschechischen Erstligisten FK Teplice an. „Das sportliche Highlight“, freute sich Zeise.

Finanziert wird die Reise vom Präsidenten des Myanmarischen Fußballverbandes, U Zaw Zaw. Er gilt als einer der größten Wirtschaftslenker des Landes und ist Chef der Max Group, einem Konglomerat mit verschiedenen Beteiligungen. Ihm werden Kontakte zu den lange herrschenden Militärs nachgesagt, die in wirtschaftliche Vorteile gemündet sein sollen. Ganz kommt man an den immer noch einflussreichen Militärs offenbar kaum vorbei: In letzter Zeit mussten sich vor allem ausländische Nicht-Regierungsorganisationen, die für eine Stärkung der demokratischen Strukturen arbeiten wollen, rechtfertigen. Sie hatten Häuser in Yangons besseren Stadtteilen von Personen angemietet, die früher eng mit dem Militär verbunden waren.

Ob sich die Mühe für die Fußballer auszahlt, werden die Myanmaren spätestens am 17. Oktober wissen. Gewinnt das Land das Viertelfinale, ist die U 20-Weltmeisterschafts-Qualifikation geschafft. Und vielleicht werden dann auch noch einmal die Erinnerungsfotos herumgezeigt – und das Karl-Liebknecht-Stadion eine Etappe sein, um auch im Fußball wieder in der Mitte Asiens anzukommen.

Ingmar Höfgen

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