zum Hauptinhalt

9. November: Zusammenschrauben, was zusammengehört

Am 9. November sollen Tausende Leuchtstelen an die Berliner Mauer erinnern. Montiert werden diese Lampen zurzeit in den Behindertenwerkstätten des DRK in Potsdam

Stand:

An die Mauer hat Stephan Gehrhardt, geboren 1973, kaum eine Erinnerung. Eher daran, dass er sich freute, als sie endlich weg war. „Da habe ich das erste Mal D-Mark bekommen, als ich mit Mutti rübergefahren bin“, sagt er. Und wenn an diesem geschichtsträchtigen 9. November in Berlin das 25-jährige Jubiläum des Mauerfalls gefeiert wird, dann wird auch Stephan Gehrhardt mitfiebern. Er ist einer von etwa 40 Beschäftigten der Potsdamer Behindertenwerkstätten des Deutschen Roten Kreuz (DRK), die an der Herstellung der 6800 Leuchtstelen für das feierliche Event beteiligt sind. Diese Leuchtkörper sollen ab dem 7. November etwa 15 Kilometer des ehemaligen Mauerverlaufs durch Berlin markieren. 15 Kilometer mitten durch die Hauptstadt, am Brandenburger Tor vorbei. Leuchtstelen made in Potsdam.

Das finden die Mitarbeiter in den Werkstätten aufregend, auch wenn die meisten die Mauer nie gesehen haben und höchstens aus dem Fernsehen kennen. Auch wie das am 9. November aussehen soll, wissen sie aus einer Fernseh-Dokumentation. Die Stelen, die wie Stehlampen aussehen, anstelle einer Lampe aber mit einem weißen Heliumballon ausgestattet sind, werden dort aufgestellt, wo einst eine Mauer Ost- und Westberlin teilte. Sie leuchten dort drei Tage lang. In der Nacht des 9. November, als die Mauer 1989 nach 24 Jahren endlich durchlässig wurde, werden die Ballons abgetrennt und sollen – mit einem Rest Leuchtkraft versehen – in den Himmel steigen. Die Lichtgrenze löst sich auf und verschwindet.

Zunächst müssen die Lampen aus etwa 40 Einzelteilen zusammengebaut werden. Stephan Gehrhardt arbeitet in der Werkstatt in der Kohlhasenbrücker Straße. Seine Aufgabe ist es, je zwei Kabel und einen Bowdenzug durch das gut zwei Meter lange Rohr zu schieben und oben zu befestigen. So wird später die Energie der Batterie im Lampenfuß zum Leuchtkranz, der unter dem Heliumballon sitzt, transportiert. Das ist ein bisschen fummelig, aber Stephan Gehrhardt ist geduldig und hat es schon gut drauf. Vor ihm liegt – wie an allen Arbeitsplätzen – eine Anleitung für den jeweiligen Arbeitsschritt. In der Ladestraße in Rehbrücke befindet sich eine Zweigstelle der Werkstatt. Im ehemaligen Radhaus ist eine lange Montagestrecke aufgebaut. An einer Station arbeitet Christoph Laudenbach und schraubt gemeinsam mit Kollegen die schwarzen Füße in den Lampenfuß. Das ist manchmal etwas anstrengend, immer dieselbe Bewegung mit der Hand. „Ich muss ab und zu ein paar Lockerungsübungen machen“, sagt Christoph Laudenbach und lacht. Ob er weiß, was er hier zusammenbaut und wofür? „Ich kenne die Mauer nur von Bildern“, sagt er. „Als sie fiel, da wurde ich gerade eingeschult.“ Möglicherweise wird er jetzt am 9. November dabei sein, wenn die Heliumballons fliegen. „Wir überlegen, mit den Beschäftigten dann nach Berlin zu fahren, als Überraschung“, sagt Steffen Ziems vom Werkstatt-Marketing.

Die Lichtinstallation basiert auf einer Idee von Christopher und Marc Bauder von der Designagentur Whitevoid. Die Kulturprojekte Berlin GmbH, die von Moritz van Dülmen geleitet wird – er verantwortete schon Potsdams letztlich nicht erfolgreiche Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2010 – schrieb die Herstellung der Leuchten aus, den Zuschlag bekamen die DRK-Behindertenwerkstätten. „Es war ein ganz normales Auswahlverfahren“, so Ziems. „Wir waren sicher nicht die günstigsten – aber wir haben große Lagerkapazitäten und eigene LKWs für den Transport. Das macht uns attraktiv.“

Normalerweise sind die insgesamt 180 Beschäftigten, zumeist geistig Behinderte oder psychisch Kranke, in den Bereichen Garten- und Landschaftspflege, Metallverarbeitung, Montage / Demontage und Verpackung tätig. Auch eine eigene Druckerei betreibt das DRK. In Verwaltung und am Empfang arbeiten Kollegen mit Körperbehinderungen. Vor neun Jahren zog die Werkstatt aus dem Wohngebiet Am Stern in die Kohlhasenbrücker Straße in Babelsberg, dort, wo früher die Bunker des Reichsfilmarchivs der Nazis waren. „Hier stören wir niemanden, wenn es mal lauter wird, beim Arbeiten oder wenn die LKWs etwas abladen“, sagt Steffen Ziems.

Kürzlich kam auch Jette Joop vorbei. Die Designerin, Tochter des Potsdamer Modeschöpfers Wolfgang Joop, suchte einen Hersteller für Teile ihrer neue Schmuckkollektion und war auf die Behindertenwerkstätten aufmerksam geworden. Im Herbst soll die Produktion von Jette-Joop-Armbändern in der Werkstatt beginnen. „Mit dem Probelauf war Frau Joop sehr zufrieden“, sagt Marketingchef Ziems. Und unter den Frauen der Werkstatt gebe es viele, die sich auf diesen Auftrag freuen. „Das ist mal was anders, etwas Kreatives.“ Vorerst allerdings hat die Lampenherstellung Priorität. Am 31. Oktober müssen alle 6800 fertig sein. Steffen Ziems ist zuversichtlich. „Wenn es knapp wird, schieben wir eben Schichtdienst“, verspricht er.

HINTERGRUND

Mit einem groß angelegten Programm erinnert Berlin an den Fall der Mauer vor 25 Jahren. Als emotionaler Höhepunkt des Festes zum 9. November werden rund 8000 leuchtende Ballons in den Abendhimmel steigen. Die Lichtinstallation soll auf einer Länge von 15 Kilometern den einstigen Grenzverlauf nachzeichnen und an die Kerzen erinnern, mit denen damals Ostdeutsche friedlich demonstrierten.

Die an Stäben befestigten Ballons werden bereits am 7. November von der Bornholmer Straße über das Brandenburger Tor bis zur Oberbaumbrücke zu sehen sein und zu Begegnungen einladen. Jeder Ballon bekommt einen Paten, der sein Element am Abend des 9. November vom Boden löst. Rund 3000 Interessierte hätte sich schon gemeldet, hieß es.

An Stationen der Lichterkette werden Tafeln mit Mauergeschichten aufgestellt, auch Infostände, Führungen und Aussichtstürme sind geplant, sagte Projektleiter Moritz van Dülmen. An dem Jubiläumswochenende werden Hunderttausende Besucher erwartet.

Am 9. November wird zudem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die neue Dauerausstellung der zentralen Berliner Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße eröffnen. Am Brandenburger Tor gibt es ein Bürgerfest in Regie der Bundesregierung.

Berlin plant zudem einen Festakt im Konzerthaus am Gendarmenmarkt.

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, wird dort eine Rede halten. Auch Lech Walesa, im kommunistischen Polen Mitgründer der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc, sowie Michail Gorbatschow, früherer Staats- und Parteichef der Sowjetunion und nun russischer Friedensnobelpreisträger, werden erwartet.

In Potsdam wird es am 9. November vormittags einen Gedenkgottesdienst in der Babelsberger Friedrichskirche geben, wie Stadtsprecher Jan Brunzlow auf PNN-Anfrage sagte. Nachmittags soll die neue Mauergedenkstätte Groß Glienicke eröffnet werden. Zudem plane die Villa Schöningen an der Glienicker Brücke eine Veranstaltung. Auch an die jüdischen Opfer der Pogrome vom 9. November 1938 soll am Abend am ehemaligen Standort der Potsdamer Synagoge am Platz der Einheit erinnert werden.

Am 10. November plant die Stadt gemeinsam mit dem Förderverein der Gedenkstätte Lindenstraße eine Veranstaltung zum 25. Jubiläum der Wiedereröffnung der Glienicker Brücke. In der Gedenkstätte Lindenstraße wird es zudem eine Projektwerkstatt geben. (dpa/jaha)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })