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Tina Mäueler, Bereichsleiterin Wohnen im Oberlinhaus, mit den Gedenkstelen an der Oberlin-Kirche.

© Manfred Thomas/PNN

Zwei Jahre Oberlin-Morde: Die Trauer ist in den Bauch gesackt

Am 28. April 2021 tötete eine Mitarbeiterin vier Bewohner einer Wohngruppe des Oberlin-Hauses. Wie geht es der Einrichtung zum Jahrestag? Was hat sich seither verändert?

Der Jahrestag ist ein Anlass, um innezuhalten. Die Glocken der Oberlinkirche in Babelsberg werden läuten. Die Namen der vor zwei Jahren von einer mittlerweile verurteilten Pflegekraft ermordeten vier Bewohner des Thusnelda-von-Saldern-Hauses werden verlesen. Lucille H., Martina W., Christian S. und Andreas K. Und an der Rückwand der Kirche, in einem schmalen Rasenstreifen, haben die vier regenbogenfarbenen Erinnerungsstelen ihren endgültigen Platz erhalten.

„Der Jahrestag wühlt uns auf, lässt die Erinnerungen an das schreckliche Verbrechen wieder hochkochen“, beschreibt Tina Mäueler, Bereichsleiterin Wohnen und Prokuristin bei Oberlin die Stimmungslage im Haus. „Damals hat uns das wie ein Tsunami überrollt.“ Mittlerweile habe sich der Alltag normalisiert. Der Jahrestag werde gewürdigt, „aber er darf in die Privatheit gehen“. Die Andacht soll im kleinen Kreis stattfinden, Angehörige, Bewohner:innen, Mitarbeitende. Die Verarbeitung, die Trauer, so Mäueler, „ist in den Bauch gesackt“.

Die Aufarbeitung findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Stärker in den Fokus gerückt ist nach den Morden das Thema Gewaltschutz. Ein Konzept dazu gibt es bei Oberlin schon lange, auch eine Pflichtschulung für Mitarbeiter:innen zum Thema Prävention. Um einen Ansprechpartner für das ganze Haus zu haben, wurde im Januar 2022 Michael Heinze zum Gewaltschutzbeauftragten ernannt. Das heißt nicht, dass eine solche Funktion die Tat hätte verhindern können, das betont Mäueler explizit. Doch Heinze könne zu einer weiteren Professionalisierung beitragen im Umgang mit Themen wie Machtmissbrauch.

Experten erarbeiten Thesen

Im ersten Jahr nach den Morden hat der diakonische Träger zudem eine Expertenkommission mit Vertretern von Verbänden, Trägern, Wissenschaft und Justiz ins Leben gerufen. Diese diskutiert die Rahmenbedingungen in der Eingliederungshilfe und die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes. Ziel ist es, ein Thesenpapier mit konkreten Vorschlägen für die Politik vorzulegen: für die Finanzierung, Personalausstattung oder die Ausbildung.

Im Herbst wollte die Kommission Ergebnisse präsentieren, doch Corona-Erkrankungen und die Komplexität des Themas haben das verzögert, so Mäueler. Ihre Position jedoch habe innerhalb der vergangenen beiden Jahre noch an Klarheit gewonnen: „Wir brauchen Mitarbeitende, sonst können wir die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes nicht garantieren.“ Das Gesetz soll die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung stärken. Ein Ziel, das das Oberlinhaus unterstützt. „Aber ohne ausreichende personelle Ressourcen können wir das nicht leisten“, so Mäueler.

Der Fachkräftemangel sei zwar noch nicht so dramatisch wie in der Altenpflege, aber die Lage spitze sich auch bei den Heilerziehungspflegern zu. Es gebe mehr Stellen als Bewerber, manche Posten blieben monatelang unbesetzt. Zwar würden die gesetzlichen Vorgaben zum Personalschlüssel überall umgesetzt – doch teilweise nur mithilfe von Kräften aus Zeitarbeitsfirmen.

„Dabei ist das einer der schönsten und abwechslungsreichsten Berufe überhaupt“, davon ist Mäueler, selbst ausgebildete Heilerziehungspflegerin, überzeugt. Doch der Beruf sei zu unbekannt, habe einen zu schlechten Ruf, obwohl die Bezahlung gar nicht so schlecht sei. Sie fordert eine Vereinfachung der Zugänge, beispielsweise durch die Abschaffung des Schulgeldes.

In Vorstellungsgesprächen spricht Mäueler die Morde offensiv an. „Das Verbrechen ist Teil unserer Geschichte, es ist uns wichtig, damit offen umzugehen.“ Die Stelen, die sie auch von ihrem Bürofenster aus sehen kann, sind ein Ort für diesen Umgang. Immer wieder, so beschreibt sie, bleibe ein Mitarbeiter, eine Bewohnerin kurz dort stehen. Um einen Moment innezuhalten.

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