Landeshauptstadt: Zweite Chance für Pferd und Jaguar
Im „Stauraum“ gibt es schöne Taschenwaren aus Material, das normalerweise im Schredder landen würde
Stand:
Ein Pferd, recycelt als Umhängetasche? Eine Federtasche, die beim Betrachten und Berühren Assoziationen an längst vergangenen Sportunterricht hervorruft? Beim „Zirkeltraining“ bekommt das alte, abgegriffene Leder der Matten und Sportgeräte neues Leben eingehaucht. Aus dem rauen Material von Medizinbällen und Turnmatten, aus Pferd und Bock werden Taschen – für Laptop oder Sportklamotten, Freizeit und Schreibkram. Diese „Taschen und andere Begleiter“ aus wiederverwendeten Materialien gibt es bei Jeanette Walter im „Stauraum“, darunter auch die Produktreihe Zirkeltraining, Taschenwaren aller Art und Größe hergestellt aus dem Leder, an dem sich oft Generationen von Schulkindern und Sportlern abrackerten.
Der Turnhallendreck und der Schweiß der Turner kleben da natürlich nicht mehr dran, sagt die Inhaberin. „Das wird alles gründlich gereinigt.“ Aber die Patina dieser alten Zeiten, die sei unverwechselbar. Ihre Kunden wissen das zu schätzen, sei es aus sentimentalen Gründen, weil sie es einfach nur schick und ungewöhnlich finden oder weil es ihrem ökologischen Gewissen entgegenkommt. Auch Jeanette Walter hat eins. „Ich bin aber noch relativ normal, ich kauf nicht nur im Bioladen ein“, sagt sie leicht beschwichtigend. Doch die Vorstellung, dass ausgedientes Material neue Verwendung findet – in sinnvollen Produkten, die auch noch schön aussehen, die fand sie gut.
Normalerweise landen alte Schläuche im Schredder, werden zu Bestandteilen für industrielle Straßenbeläge verarbeitet. Dabei seien solche Materialien sehr strapazierfähig und langlebig, sagt Jeanette Walter. Zu schade, um sie einfach zu entsorgen. „Das ist ja der Sinn der Sache – sie halten ewig, auch in ihrer Zweitverwertung.“
Es ist deshalb kein ganz normaler Taschenladen, den Jeanette Walter in der Potsdamer Innenstadt betreibt. Ihre Produkte, sagt sie, kommen inklusive reinem Gewissen. Reisetaschen aus Luftmatratzen mit 70er-Jahre-Blümchenmuster, alten Lkw-Planen oder Segeltuch, auf dem noch die originalen Nummern zu sehen sind. Ebenso wird Leder von Autositzen – zurzeit ist ein Cadillac aus Kanada, Baujahr 1997, im Angebot – verarbeitet, einstige Jute-Kaffeesäcke und Armee-Wolldecken finden sich wieder in Reise- oder Umhängetaschen in allen Größen und Formen, stets in dem dieser Branche innewohnenden, kreativ-sportlichen Design.
Alles sind Unikate, handgefertigt in ordentlicher Qualität, sagt sie. „Meine Taschen halten was aus.“ Vieles wird in Polen gefertigt, wo das Taschnern noch ein traditioneller Handwerksberuf ist. Interessanterweise sieht man den fertigen Produkten die Herkunft entweder überhaupt nicht an, oder sehr deutlich. Vor allem die Zweitverwertung der Feuerwehrschläuche findet viele Anhänger. Die robusten Taschen der Serie „Feuerwear“ in Grau- und Rottönen sind gut nachgefragt, in diesem Frühjahr kann Jeanette Walter sogar Lightline-Taschen anbieten. „Aus gelben, reflektierenden Schläuchen, die beim Nachteinsatz benutzt wurden. Damit niemand drüber stolpert“, sagt die Inhaberin. Es sei gar nicht so einfach gewesen, an diese Taschen, die in kleinen Stückzahlen hergestellt werden, ranzukommen.
Manches hat deshalb im Stauraum durchaus seinen Preis. Viele Kunden stöbern erst und kommen dann wieder. Gern werden Geschenke gekauft. Zunehmend finden auch Männer in den Taschenladen, die zumeist Verpackung für elektronische Geräte, Telefone und Rechner, schätzen. Daneben gibt es auch Kleinigkeiten, Accessoires und außergewöhnlichen Schmuck, Halsketten mit aufpolierten Holztäfelchen, die einst zum Armaturenbrett eines Jaguar gehörten.
Trotz der Idee, ökologisch nachhaltig und sozial verträglich hergestellte Produkte anzubieten, kommt das kleine Geschäft in der Jägerstraße ohne vordergründiges Bio-Image aus. Die ausgestellte bunte Vielfalt in den weißen Regalen überrascht. Jeanette Walter selbst sitzt an einem Schreibtisch mit den klaren Linien des 60er/70er-Jahre Designs. Die Funktionalität setzt sich in den Produkten – und der Dekoration fort. Eine alte, manuell zu bedienende Feuerwehrspritze und aufgerollte Schläuche erinnern an die ursprüngliche Verwendung dessen, was er hier jetzt zu kaufen gibt. Dass hier jemand von seiner Idee überzeugt ist, spürt der Besucher sofort.
Jeanette Walter, 46 Jahre alt, lebte lange Zeit in Berlin-Kreuzberg. Sie arbeitete als Erzieherin und dachte irgendwann: Das reicht jetzt mit dem Kinderkram. Und wollte endlich diese Idee, die sie schon lange im Hinterkopf hatte, verwirklichen. An interessanten Sperrmüllhaufen sei sie schon immer gern stehen geblieben, sagt sie über ihre Vorliebe für Dinge mit einer Geschichte, einem Vorleben. Jetzt, als Unternehmerin, muss sie ihre kleine Familie und den Eine-Frau-Laden unter einen Hut bringen. Alles eine Frage guter Organisation, auch die Betreuung ihres sechsjährigen Sohnes. Jeanette Walter schmeißt, wie viele kleine, mutige Existenzgründer, den Laden bisher fast komplett allein. Nur manchmal hört man dort im Hintergrund die Französische Bulldogge Kaspar schnarchen, ihr ganz persönlicher ständiger Gefährte – zwischen all den „Taschen & ständigen Begleitern“, von Feuerwear bis Zirkeltraining.
Stauraum, Charlottenstr. 94 /Ecke Jägerstraße, www.stauraum-potsdam.de
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: