Landeshauptstadt: Zwiebel und Matze
Die Potsdamer Juden begehen in dieser Woche das Pessach-Fest, die höchsten jüdischen Feiertage. Auch Gäste von ganz weit her feiern hier mit
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Lesen Sie am Dienstag, dem 18. April: Erlebt – Kirche für Potsdam
Es beginnt mit einem Gebet. Melodisch hört es sich an, so dass die Betenden gern einstimmen. Landesrabbiner Nachum Presman spricht die Verse mit meist geschlossenen Augen, obwohl er das Gebetbuch in den Händen hält. Aber er kennt sich eben aus. Die betenden Männer um ihn herum schauen schon ein bisschen häufiger nach dem Text.
Was da am Montagabend im Kutschstall am Neuen Markt in Potsdam erklingt, markiert den Auftakt zu einer wichtigen Feier. An jenem Tag beginnt das Pessach-Fest – eines der wichtigsten religiösen Feste der Juden. Es erinnert an den Auszug aus Ägypten, also die Befreiung der Israeliten aus ägyptischer Sklaverei. Damit beginnt im Tanach, der hebräischen Bibel, die besondere Geschichte Israels mit seinem Gott. Er macht sich seinem Volk bekannt und wählt es zu seinem Bundespartner. Diese theologische Ursprungsgeschichte Israels ist das zentrale Glaubensbekenntnis des Judentums.
Rund 120 Besucher kommen am Montagabend ins historische Gewölbe des Kutschstalls. Die Tische sind festlich gedeckt. Alle Männer tragen eine Kippa. Das Geschirr, sagt Gemeindevorsitzender Mykhaylo Tkach, sei nur für dieses Fest bestimmt und extra aus Israel geliefert worden. Die Feier ist auch eine Premiere, denn erstmals feiert die Jüdische Gemeinde Potsdam zusammen mit der Synagogengemeinde das Pessach-Fest. „Ein besonderer Tag“, sagt Tkach. Es sei wichtig, dass die Gemeindemitglieder das Fest gemeinsam erleben.
In diesem Jahr wird Pessach vom 11. bis zum 18. April gefeiert. Wie es üblich ist im Judentum, fängt der Feiertag mit dem Sonnenuntergang am Vorabend an. Pessach ist eine große Geschichte. Entsprechend umfangreich ist die Zeremonie an diesem Abend. Sie heißt Seder. Während die Männer beten, spielen die Kinder im Kutschstall fangen, verstecken sich hinter den dicken Säulen des Gewölbes oder auch mal hinter dem schwarzen Gewand von Rabbiner Presman.
Nach dem Eröffnungsgebet beginnt die eigentliche Feier. Religionen verlangen von ihren Gläubigen bisweilen ein gewisses Maß an Geduld. Das ist auch am Sederabend so. An jedem Platz liegt eine Haggada bereit, ein Buch, in dem Texte über die Gefangenschaft der Israeliten in Ägypten und deren Flucht und die übrigen Anweisungen für den Ablauf des Seder stehen. Rabbiner Presman liest sie vor. Manche Passagen werden gesungen.
Beim Blick in die Runde fällt auf, dass auch viele Ältere gekommen sind. „Wir müssen uns um sie kümmern“, sagt Tkach. Unter den etwa 420 Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde seien etwa 100 mehr als 75 Jahre alt. Viele davon leben allein. Die Gemeinde organisiert für sie zum Beispiel Begleitungen zu Arztbesuchen oder zu Terminen bei Ämtern. Manche der Älteren aus den früheren Ländern der Sowjetunion verstehen die Briefe von deutschen Ämtern nicht. Dann werde bei der Übersetzung geholfen. Ältere oder behinderte Gemeindemitglieder würden zu gemeinsamen Treffen gefahren.
Auch Tkach selbst gehört zu den Älteren. 1938 wurde er in der Kleinstadt Ovrutsch in der Ukraine geboren, etwa 200 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kiew. Wie viele andere ältere Mitglieder wuchs er in der Sowjetunion auf. „Wir kommen aus einem Land, in dem es nicht möglich war, unsere jüdische Identität auch zu leben“, sagt er. Deshalb habe man nach der Übersiedlung nach Deutschland eine doppelte Aufgabe: Integration in den deutschen Alltag und die Wiederentdeckung der jüdischen Religion. „Erst hier können wir wieder jüdisch sein.“
Der Rabbiner sei für die Gemeinde auch ein Lehrer, der sie in ihrem Glauben unterweist, sagt Tkach. Am Montag erklärt Rabbiner Presman den Gästen, welches Gebet das nächste ist – auf Hebräisch, Russisch und Deutsch. Zu vier bestimmten Zeitpunkten wird vom bereitstehenden Wein getrunken. Dann stehen alle auf und gehen sich die Hände waschen. Dreimal muss das Wasser für das Ritual mit einem Becher über die rechte Hand gegossen werden, dann drei mal über die linke. Erst danach darf die erste der Speisen angefasst werden, die die ganze schon in der Mitte jedes Tisches bereit stehen.
Der erste Gang ist ein Stück Zwiebel. Die Frucht der Erde symbolisiert die zermürbende Arbeit in Ägypten. Sie wird vor dem Verzehr in Salzwasser getaucht. Anschließend wird die Matze gebrochen – ein dünnes Fladenbrot aus ungesäuertem Teig. Matze spielt eine wichtige Rolle im gesamten Pessach-Fest, denn während der ganzen Woche darf nichts Gesäuertes gegessen werden. „Das gehört zur Geschichte“, erklärt Tkach. Als die Juden aus der ägyptischen Knechtschaft flohen, musste es schnell gehen. So schnell, dass man vor dem Aufbruch nicht warten konnte bis der Brotteig aufgegangen war. Später wurde der Teig dann auf der Reise fertiggebacken.
Neben der Zwiebel stehen in der Tischmitte noch Schälchen mit einen gekochten Ei, Römersalat und einem Stück angebratener Lammkeule mit wenig Fleisch. Sie werden im Verlauf der Zeremonie zu bestimmten Zeitpunkten gegessen. Genau wie Charosset – eine Mischung aus Obststückchen und Datteln, Nüssen, mit etwas Rotwein zusammengeknetet. Es ist ein Symbol für den Lehm, aus dem die Israeliten in den Zeiten der Knechtschaft Ziegel herstellen mussten.
Mit am Tisch des Rabbiners sitzen an diesem Abend auch zwei Gäste aus Weißrussland, die schon länger mit der Gemeinde bekannt sind. Doch sie sind nicht die am weitesten gereisten Gäste, das ist Eliah Sakakuschev. Der gebürtige Bulgare lebt eigentlich in Neuseeland. Verheiratet ist er mit einer Berlinerin. Gerade ist die Familie zu Besuch der in Geltow lebenden Schwiegermutter, erzählt er. Auf Pessach wollte er dennoch nicht verzichten und erkundigte sich nach einer Gemeinde in der Nähe. „Das ist das Leben“, kommentiert Tkach und freut sich sichtbar über den Gast.
Auch etwa ein Dutzend jugendliche Gemeindemitglieder sitzen an den Tischen. Für Tkach ist das ein gutes Zeichen für die Zukunft der Gemeinde. Schließlich engagiere man sich auch in der Jugendarbeit, helfe bei der Kinderbetreuung. Es gibt eine Sonntagsschule. Für die Zukunft hofft Tkach auch, dass die Gemeinde einen eigenen Rabbiner bekommt. Ein Kandidat absolviere derzeit in Berlin das Rabbinerseminar und soll gegen Ende des Jahres ordiniert werden.
Diese Zukunft soll dann auch in einer eigenen Synagoge stattfinden. Im März hatten sich die einst verstrittenen jüdischen Gemeinden in Potsdam auf ein gemeinsames Konzept für die künftige Synagoge in der Schlossstraße geeinigt. 2020 soll sie fertig sein. Das gemeinsame Konzept der Jüdischen Gemeinde und der Synagogengemeinde sieht vor, dass die Synagoge zunächst von dem neuen Verein Israelitische Kultusgemeinde getragen wird. Allerdings gibt es noch keine Einigung mit dem Land über die Rolle der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST) in dem Projekt. Außerdem ist die dritte jüdische Gemeinde, die Gesetzestreuen, nicht im Boot.
Ein langer Streit, für dessen Lösung es viel Geduld braucht. Zum Sederabend werden die Teilnehmer am Schluss der mehrstündigen Zeremonie mit einem Festessen belohnt. Geduld zahlt sich eben aus.
Text: Marco Zschieck Fotos: Sebastian Gabsch
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