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Homepage: Zwischen Aufbruch und Ablehnung Jüdische Sammler und das „Zentrum der Moderne“

„Als die Nazis kamen, war der Assimilationstraum ausgeträumt“, stellt Julius H. Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums in Potsdam, fest.

„Als die Nazis kamen, war der Assimilationstraum ausgeträumt“, stellt Julius H. Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums in Potsdam, fest. „Aufbruch in die Moderne“ ist der Titel eines Buches von Anna-Dorothea Ludewig, Julius H. Schoeps und Ines Sonder, in dem die Autoren die Geschichte vorwiegend jüdischer Sammler, Mäzene und Kunsthändler in Berlin von 1880 bis 1933 aufgezeichnet haben. „Es hatte sich in Berlin in dieser Zeit ein ganz spezifisch jüdisch-berlinischer Geist herausgebildet, der besonders offen gegenüber Neuerungen in Kunst und Wissenschaft war“, sagte Schoeps zu dem Buch. Gerade durch diese Offenheit habe sich Berlin im Vorkriegsdeutschland und zwischen den Weltkriegen zu einem „Zentrum der Moderne“ entwickelt.

Familien wie die Mendelssohns oder die Cassirers, deren Mitglieder eine zentrale Rolle als Sammler und Kunstmäzene spielten, wie auch einzelne Sammler und Sammlerinnen wie Margarete Mauthner bespricht das Buch. „Durch die Restitutionsproblematik, die in den vergangenen Jahren heiß diskutiert wurde, ist das ein hoch aktuelles Buch“, konstatiert Schoeps. Erst im Jahr 1998 entschlossen sich 44 beteiligte Staaten in einer Vereinbarung auf faire Lösungen für die im Zweiten Weltkrieg geraubten und enteigneten Kunstwerke hinzuwirken. Dann passierte erst einmal wenig. Erst als Nachfahren von Sammlern die Gemälde und Skulpturen zurückerstattet erhalten hatten und anfingen, diese zu Millionenpreisen zu verkaufen, entspann sich eine Debatte über Sinn, Zweck und Umfang der Restitutionen. Das Buch wolle allerdings die Debatte nicht weiter anheizen, sondern vielmehr auf die Verdienste der häufig mit einem tragischen Schicksal behafteten Kunstliebhaber hinweisen, erklärte Schoeps.

Bereits frühzeitig entwickelten beispielsweise die Mendelssohns eine Vorliebe für den holländischen Vorreiter der Expressionisten: Vincent van Gogh. In überraschender Übereinstimmung bevorzugten die Familienmitglieder Gemälde, die der Maler in seinen späten Lebensjahren mit heftigem Strich auf die Leinwand bannte. Um 1900 setzte der internationale Hype um van Gogh ein. Bis zum Ersten Weltkrieg befanden sich dann 120 Gemälde und 36 Zeichnungen von ihm in deutschem Privatbesitz. Hieran war wesentlich auch Margarete Mauthner beteiligt. Die 1863 geborene Tochter eines großbürgerlichen Industriellen entfaltete eine rege Sammeltätigkeit. Eher durch Zufall erhielt Mauthner als Erste die Gelegenheit, den umfangreichen Briefwechsel van Goghs ins Deutsche zu übertragen. Als sie wenig später mit den Briefübersetzungen begann, waren es gerade ihre vermittelnden Fähigkeiten, die erheblich zur Popularität des Holländers beitrugen. „So liebte ich den Maler, noch ehe ich seine Bilder kannte“, schwärmt Mauthner.

Sammler wie die Mendelssohns, Hugo Oppenheim und Guido Graf Henckel von Donnersmarck trugen früh dazu bei, dass die französischen Impressionisten nach Berlin gelangten. Sie unterstützten den Direktor der Nationalgalerie Hugo von Tschudi beim Ankauf von Gemälden wie „Im Wintergarten“ von Édouard Manet. Das stieß allerdings beim preußisch-deutschen Bürgertum auf deutlichen Widerspruch: „Da sitzt eine Jüdin auf einer Bank und hinter ihr stehe ein jüdischer Mann. Was soll das in unserer Nationalgalerie?“, fragte Kaiser Wilhelm II. Auch galt das Gemälde als anzüglich. Die Wertschätzung der luftigen Freilichtmalerei durch den Sammler und Maler Max Liebermann half da wenig.

Mit den Nazis brach dann der dumpf-deutschnationale Geist vollends durch. Viele der „Wegbereiter der Moderne“ flohen ins Ausland, einige starben den Freitod. Fortan waren blonde Schönheiten mit Kind vor wogenden Ährenfeldern der Standard in der bildenden Kunst der NS-Zeit. Richard Rabensaat

Aufbruch in die Moderne - Sammler, Mäzene und Kunsthändler in Berlin 1880-1993, Dumont 2012; ISBN 978-3-8321-9428-4, 29,95

Richard Rabensaat

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