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Von Annette Herold: Zwischen Kunst und Rüben
Hans-Georg von der Marwitz – Enkel des letzten Gutsbesitzers – führt Familientraditionen weiter
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Friedersdorf - Der Mais steht gut in diesem Herbst. Auch die Zuckerrüben sind vielversprechend herangewachsen, so dass Hans-Georg von der Marwitz mit einer besseren Ernte rechnet als beim Getreide, dem die Frühjahrstrockenheit nicht gut bekommen ist. Dürre dürfte auch manchem seiner Vorfahren in Friedersdorf (Märkisch-Oderland) zu schaffen gemacht haben: Seit dem 17. Jahrhundert waren die von der Marwitz Landwirte in dem Ort am Rande des Oderbruchs – bis 1945. Nach dem Ende der DDR ist die Familie zurückgekehrt, und der Enkel des letzten Gutsbesitzers hat wieder die Äcker seiner Ahnen unter den Pflug genommen.
Der Beruf des Landwirts stand für das fünfte von sechs Kindern lange fest. Dass der in Süddeutschland geborene und aufgewachsene Hans-Georg von der Marwitz ihn jedoch einmal in Friedersdorf ausüben würde, war vor 1989 undenkbar. Aus Traditionsbewusstsein habe er die Entscheidung nicht gefällt, betont er. Eher aus ökonomischen Gründen: Im Osten konnte der Adlige in größerem Stil Ackerbau betreiben als es auf seinem Hof im Allgäu möglich war. Dem alten Familienstammsitz Friedersdorf sei im elterlichen Pfarrhaus keine besondere Bedeutung beigemessen worden. „Meine Eltern hatten nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs mit der Vergangenheit abgeschlossen. Sie haben sich auf das Hier und Jetzt konzentriert.“ Als sein Vater 1990 Friedersdorf besuchte, schien eine Rückkehr erwägenswert, denn für das bis dahin von einer LPG bewirtschaftete Land wurde ein Nutzer gesucht. Zum 1. Januar 1991 hatte von der Marwitz 780 Hektar Boden teils gepachtet, teils gekauft und siedelte mit seiner schwangeren Frau Dorothee nach Friedersdorf über. Nicht ins Herrenhaus – das stand längst nicht mehr –, sondern das junge Ehepaar bezog einen winterfesten Wohnwagen, weil freie Wohnungen damals in dem Ort wie überall in den neuen Bundesländern knapp waren.
Heute lebt die inzwischen sechsköpfige Familie im rekonstruierten Torhaus des Gutshof-Ensembles. Manches Missverständnis der Anfangszeit sei ausgeräumt, sagt von der Marwitz. So sei es nie sein Ziel gewesen, in Friedersdorf einen herrschaftlichen Haushalt mit Hofstaat wiedererstehen zu lassen. „Bei manchem war die Enttäuschung grenzenlos, als ich im Overall im Kuhstall auftauchte.“ Andere Dorfbewohner sorgten sich um ihr Land. Bei einer Versammlung ließ der Neuankömmling mit den jahrhundertealten familiären Wurzeln die Friedersdorfer deshalb sieben Monate vor dem einschlägigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts wissen, dass er die nach dem Krieg geschaffenen Eigentumsverhältnisse für die Siedler akzeptieren werde.
Anderes dagegen wollte er nicht so ohne weiteres hinnehmen – und engagierte sich neben dem Aufbau seines Betriebes gemeinsam mit vielen Friedersdorfern für die Rettung der barocken Dorfkirche. „Er ist einer, der immer vorneweg geht und Leute mitzieht“, sagt die langjährige Kirchenälteste Christa Neubauer. In der Kirche, in der wieder Gottesdienste stattfinden, steht der Gedenkstein für Johann Friedrich Adolf von der Marwitz (1723-1781). Dieser Spross der Adelsfamilie verweigerte dem Preußenkönig Friedrich II. im Siebenjährigen Krieg die Gefolgschaft, indem er Schloss Hubertusburg nicht plünderte. „Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte“, ist auf seinem Grabstein zu lesen.
Neben alten Bauten – mit Hilfe eines Vereins ist aus dem einstigen Gutsspeicher der Kunstspeicher Friedersdorf mit Restaurant, Galerie und Hofladen geworden – gilt von der Marwitz'' Interesse den Menschen. Er engagiert sich politisch für die CDU im Kreistag und gilt als Förderer des Christlichen Vereins Junger Menschen in der Region. Eingedenk der Familiengeschichte habe er zwischen „Flüchten und Annehmen“ wählen müssen, stellt der Adlige heute fest. Er könne sich mittlerweile als „Link in einer langen Kette“ sehen. Mit den Friedersdorfern verbinde seine Familie nach fast 18 Jahren im Märkischen „ein gutes Miteinander“. „Solange wir können, werden wir hier arbeiten.“
Annette Herold
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