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Landeshauptstadt: Zwischen Überzeugungsarbeit und Freischein

Bernd Jaroszynski kontrolliert Lastwagen und Busse – auf Autobahnen und auf Schulhöfen

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Bernd Jaroszynski kontrolliert Lastwagen und Busse – auf Autobahnen und auf Schulhöfen Von Dirk Becker Auch diese Wette geht an Bernd Jaroszynski. Die dritte, die er an diesem Abend gewinnt. Doch jetzt, kurz vor 21 Uhr, auf einem Rastplatz an der Autobahn 10 in der Nähe von Michendorf, verlässt ihn langsam sein Humor. Den dritten polnischen Reisebus kontrollieren Jaroszynski vom Potsdamer Amt für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik und die Kollegen von der Polizei an diesem Abend. Routinemäßig, wie es heißt. Und ganz routiniert legen die beiden Busfahrer auf Nachfrage den so genannten Freischein vor. Ein schriftliche Bestätigung ihres Chefs, dass sie erst an diesem Tag, nach längerem Urlaub, wieder völlig ausgeruht den gut gefüllten Reisebus bis in die Niederlande lenken können. Jaroszynski lächelt und auch die Busfahrer lächeln. Beide Seiten wissen, dass dieser Freischein oft nichts anderes als ein Blankoschreiben ist. Jaroszynski muss dieses Spiel mitspielen, da er keine Handhabe hat. „Verstehen Sie jetzt, warum wir uns regelrecht veralbert fühlen?“ Der sonst so gelassene und humorvolle Mann klingt stark frustriert. Billigpreise bei Klassenfahrten Als Anfang Oktober ein Reisebus mit Potsdamer Schülern wegen eines Kabelbrands auf einer italienischen Autobahn liegen blieb, kam der Kontakt mit Bernd Jaroszynski zustande. Eine seiner Aufgaben besteht im Überprüfen von Reisebussen. Gerade an Schulen haben er und seine Kollegen in den vergangenen Jahren viel Überzeugungsarbeiten leisten müssen. „Der Trend zu Billiganbietern macht auch vor Klassenfahrten nicht halt“, erklärt Jaroszynski. Doch die Einsparungen von wenigen Euro können sehr schnell auch Abstriche bei der Sicherheit bedeuten. Übermüdete Fahrer, technische Mängel, immer wieder sind katastrophale Busunfälle in den Medien präsent. Seit längerem bietet das Potsdamer Amt für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik vor Klassenfahrten die Überprüfungen der Busse an. „Zwar sind unsere Mittel beschränkt. Doch durch die Überprüfung des Fahrtenschreibers lässt sich sehr schnell die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten feststellen.“ Auch für grobe technische Mängel hat Jaroszynski durch jahrelange Berufserfahrung einen Blick entwickelt. Die hartnäckige Überzeugungsarbeit hat sich ausgezahlt. Nicht nur Lehrer, auch die Eltern rufen regelmäßig in seinem Büro in Bornim an und erkundigen sich. Zwar darf er kein Reiseunternehmen empfehlen, da er sonst widerrechtlich in den Wettbewerb eingreifen würde. Doch dass regionale Busunternehmen unter seiner ständigen Kontrollen stehen und dadurch ein gewisses Maß an Sicherheit gewährleistet werden kann, darauf könne er schon hinweisen. Doch nicht nur auf Reisebusse ist seine Arbeit beschränkt. Fuhrunternehmen jeglicher Art müssen mit seiner Kontrolle rechnen, ob nun auf der Straße oder auf dem Betriebshof. Was Jaroszynski in den vergangenen Jahre dabei erlebt hat, davon kann er so manche Anekdote erzählen. Doch da alle Theorie bekanntlich grau ist, verliert Jaroszynski nicht allzu viele Worte. „Kommen Sie einfach mit nach draußen, wenn wir kontrollieren.“ Ein „dicker Fisch“ Lange dauert es an diesem kalten Novemberabend auf dem Rastplatz nicht, bis Bernd Jaroszynski in Aktion treten muss. Zwei Streifenwagen sind auf der Autobahn unterwegs. Im so genannten „Schleppverfahren“ wird so nach Reisebussen gesucht. Zwei- bis dreimal führt das Potsdamer Amt für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik zusammen mit der Autobahnpolizei diese Kontrollen an unterschiedlichen Standorten durch. Häufig auf Autobahnen, gelegentlich auch auf der Landstraße, erklärt Jaroszynski. Dann rollt schon einer der Streifenwagen in die Einfahrt, einen Bus aus Sachsen-Anhalt im Schlepptau. Nur wenige Minuten reichen Jaroszynski und schon ist klar, hier hat man einen „dicken Fisch“ im Netz. Der Busfahrer, Ende 50, von einer Universität angestellt, ist mit einer Gruppe Studenten auf dem Heimweg. Jaroszynski verlangt den aktuellen Fahrtenschreiber und die der laufenden Woche. Der Busfahrer reicht ihm gleich einen ganzen Stapel, 34 Stück an der Zahl. Jaroszynski schüttelt nur den Kopf. „Nur die Scheiben der aktuellen Woche hat der Fahrer bei sich zu haben, der Rest muss im Büro archiviert werden.“ Der Busfahrer zuckt mit den Schultern. Er habe das seiner Chefin schon mehrmals erklärt, doch stoße er damit immer wieder auf taube Ohren. Dann geht es an die Auswertung der Scheiben. Manchmal mit Gebrüll Maximal neun Stunden Lenkzeit sind am Tag erlaubt, zweimal in einer Woche dürfen es auch zehn Stunden sein. Nach spätestens viereinhalb Stunden hinterm Lenkrad müssen 45 Minuten Pause eingelegt werden. Eine der Scheiben in Jaroszynski Händen zeigt eine Lenkzeit von 12 Stunden, auf den anderen Scheiben finden sich ebenfalls Überschreitungen. Und auch jetzt kann der Busfahrer nur mit den Schultern zucken. Oft genug habe er seine Chefin darauf hingewiesen. „Aber ich muss meinen Job machen“, erklärt er, der seit über 30 Jahren als Kraftfahrer unterwegs ist, resigniert. Fährt er nicht, fährt ein anderer, so einfach ist das. An diesem Tag ist jedoch alles in Ordnung und so wünscht Jaroszynski eine „Gute Fahrt“ und fügt an, dass die Chefin sich auf ein saftiges Bußgeld gefasst machen könne. Dass der Busfahrer so gelassen auf die Kontrolle reagierte, kommt aber nicht immer vor. „Manchmal geht das Gebrüll schon los, kaum das man die Fahrertür geöffnet hat“, sagt Jaroszynski. Doch das prallt an ihm ab. Er weiß, wer tobt, bei dem liegt etwas im Argen. Und oft braucht er nicht lange zu suchen und das Getobe verstummt. In deutschen Fuhrunternehmen herrscht in Sachen Lenkzeitenregelung offenbar eher der Schlendrian. In den polnischen Reisebussen, die meist Richtung Niederlande unterwegs sind, ist dagegen alles korrekt bis hin zum fein säuberlich ausgefüllten Freischein, so der Eindruck nach gut drei Stunden Kontrolle, während die Kälte immer stärker in die Knochen setzt. Bernd Jaroszynski nickt, das sind auch seine Erfahrungen. Bei den deutschen Unternehmen hilft oft ein Bußgeld oder die Kontrolle im Fuhrpark und der Umgang mit den Lenkzeiten wird wieder genauer genommen. Die polnischen Reisebusse bereiten ihm dagegen mehr Gedanken. Der Freischein als Blankovollmacht lässt keine vernünftige Kontrolle zu. Und so muss er misstrauisch bleiben, wo manchmal gar kein Misstrauen angebracht ist. Aber er hat schon bei Kontrollen in den Papieren der Busfahrer abgestempelte und vom Chef unterschriebene Freischeine gefunden, die der Fahrer nur noch entsprechend ausfüllen musste. Und noch andere Tricks sind ihm bekannt, die aufzuzählen einfach zu lange dauern würde. Beim ersten polnischen Reisebus an diesem Abend schlägt Jaroszynski augenzwinkernd die Wette vor. „Wetten, dass wir hier einen Freischein bekommen?“ Er soll recht behalten, wie auch beim nächsten Bus. Doch als ihm im dritten Reisebus auch ein Freischein präsentiert wird, lässt er nicht locker. Jaroszynski will jetzt alles sehen, bis hin zu den Fahrscheinen der beiden Busfahrer, mit denen sie ihre Behauptung, mit dem Zug vom Heimatort zum Busunternehmen gefahren zu sein, belegen müssen. Aber diese Fahrscheine fehlen. Da helfen auch keine plötzlich vorgeschützten Verständigungsprobleme und auch nicht das Toben des Reiseleiters. Jaroszynski setzt auf Konsequenz. Viel kann er zwar nicht machen, doch ein Bußgeld von 50 Euro pro Fahrer muss sofort gezahlt werden. Aber nicht die beiden schweigsamen Busfahrer holen die Geldbörse hervor, es ist der schimpfende Reiseleiter, der zahlt. Wenig später verlässt der Bus langsam den Parkplatz. Es folgt eine letzte Lagebesprechung: 16 Fahrzeuge wurden an diesem Abend kontrolliert, davon fünf Busse. Vier Bußgelder wurden ausgesprochen und zwei Anzeigen aufgenommen. Auch wenn die letzte Kontrolle des polnischen Reisebusses manchmal wie Schikane wirkte, es war notwendig. „Wir haben gezeigt, dass mit uns zu rechnen ist“, sagt Bernd Jaroszynski. Aber, so ist er sich sicher, bei der nächsten Kontrolle werden die beiden Busfahrer garantiert die Fahrscheine bei sich haben. Die Busfahrer lernen, aber auch Bernd Jaroszynski lernt. Da geht er jede Wette ein.

Dirk Becker

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