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Kultur: ... und (fast) keiner hört zu

Talentierte frische Songwriter waren im Waldschloss zu Gast / Nächstes Konzert im Gutenberg 100

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Einst war Liedermacher ein Beruf, den man aus dem Brustton der Überzeugung angab. Heute riecht diese Profession etwas muffig, wie der Schurrbart von Wolf Biermann oder ist im Gedächtnis mit akustischen Hörproben wie Reinhard Mey“s „Über den Wolken“ besetzt. Schnell begann man deshalb auch hierzulande die Bezeichnung Songwriter einzuführen. Da kann man von Bob Dylan bis Badly Drawn Boy wenigstens ein paar klingende Mitstreiter aufweisen, auch wenn die Musik selten etwas damit zu tun hat.

Der Potsdamer Kai Winderlich möchte nun auch in der brandenburgischen Landeshauptstadt eine Plattform für Songwriter etablieren. „Es soll kein Wettstreit sein, wie ein Songwriter-Contest, sondern jungen Musikern die Möglichkeit geben, ohne Druck ihre Lieder zu präsentieren“, beschreibt Winderlich das Konzept. Am Wochenende fand im Waldschloss das erste „Songwriter Festival“ statt. Leider waren die Potsdamer woanders (Am See? Bei J.B.O.? Im Bett?) und ließen ihre Lauscher deshalb nicht mit Musik dieser talentierten Musiker füttern. Selbst schuld, denn Organisator Winderlich hatte eine sympathische Truppe zusammengestellt, die an diesem Abend hauptsächlich sich selber unterhielt. Eine Handvoll Leute konnte dann doch noch kurz vor Beginn überzeugt werden, ihr Bier aus dem Garten in den Saal zu nehmen.

Diese sahen auf der Bühne einen schlaksigen Hünen (Geisteswissenschaftler, schätzungsweise 15. Semester), der über „Liebe an der Akademie“, die Internationalität beim Gemüsehändler und sein schweres Leben als „Slacker“ berichtete. „Der Bruder der Braut“ nennt sich Lasse Hölck und er trug seine sympathischen Verlierer-Songs mit verschmitzter Selbst-Ironie vor. Anders Kayenne, die mit Gitarre und der stampfenden Macht ihrer Füße ein spanisches Flamenco-Gewitter vom Zaun brach. Sehr originell auch wenn die seichten Texte manchmal nicht das feurige Temperament wiedergaben, das die Musik verspricht. Auch der Veranstalter Kai Winderlich selbst betrat die Bühnenbretter, um mit Gitarre- oder Charango-Begleitung verträumte Lieder über die Liebe und das Leben in den Saal zu senden. „Musik für Tagträumer aber mit hellwachen Texten“, wie Kollegin Kayenne ihn charmant und treffend ankündigte. Ganz anders Jan Koch, der nicht nur der aussterbenden Kunst des Pfeifens Einhalt huldigte, sondern mit seinen depressiv-morbiden Songs einen seltsame Stimmung erzeugte, die aber niemals in Verbitterung umschlägt. „Manchmal geh ich in den Garten und dann beiße ich ins Gras“, beginnt zum Beispiel sein Song mit dem missverständlichen Namen „Freudenschrei". Am Ende war man dem erwähnten Reinhard Mey gar nicht mehr so fern, denn die zuletzt aufgetretene Künstlerin Caro wünschte sich, wie Mey in die Freiheit davonfliegen zu können. Aber in ihren Gesang mischte sich Frust und Auflehnung. Mit ihrem Gitarrero präsentierte sie Protest-Songs und hingerotzte Abrechnungen aus der Seele, nicht immer mitreißend, aber authentisch: „Du bist wie Fast Food, schnell und billig und immer zu haben“.

Die nächsten Gelegenheiten frische Songwriter aus der Region kennen zu lernen, ist am 28. April im Gutenberg 100 und am 4. Mai im Walhalla möglich. Anhören, sonst wandern die Musiker samt ihren Instrumenten wieder ins empfängliche Berlin ab. Christoph Henkel

Christoph Henkel

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