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Kultur: 20 Jahre danach

Bilder und Lesung zum Mauerfall in der Bibliothek

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Die real existierende Mauer ist zwar noch da, aber in ihr sieht man ein Loch. Dies war so ungewöhnlich, dass jemand daneben schrieb: „Loch“. Sicherheitshalber. Vom Loch in der Mauer 1989 über die seltsam einspurige Wiedervereinigung bis zum Jubiläum 2009 war es ein weiter Weg. Ist der „Graben in der Geschichte“ nach zwanzig gemeinsamen Jahren tatsächlich verschwunden? Den Welttag des Buches zum Anlass nehmend, lud Potsdams Bibliothek am Platz der Einheit am Donnerstag zu einer Doppel-Veranstaltung ein. Der bekannte Publizist und Fotograph Christoph Dieckmann las aus seinem neuen Buch „Mich wundert, daß ich fröhlich bin – Eine Deutschland-Reise“, während eine ungewöhnliche Foto-Ausstellung recht originell an „20 Jahre Mauerfall – 20 Jahre Wende“ erinnern wollte.

Das zahlreiche Publikum meist älteren Datums machte deutlich, wie sehr die Veranstalter einen „Nerv der Zeit“ getroffen hatten. Einen nicht mehr ganz jungen freilich, für die heutige Jugend ist dieses „epochale Ereignis“ längst Schnee von vorgestern.

Natürlich war das alles damals „Wahnsinn“, Mauerfall, Aufbruchsstimmung, Befreiung von Seelen, mehr noch von Fantasie. Nur auf kurze Zeit allerdings, nach dem belebenden Chaos kam die heutige Ordnung. Irgendwo dazwischen hat Christoph Dieckmann, für „Zeit“, „Freitag“ und für sich selbst schreibend, seine gesamtdeutschen Reisereportagen angesiedelt. Sie spiegelten nicht das, was man zum Anlass erwartete, ihre handelnden Personen wohnen manchmal weit abseits aller gangbaren Wege. Er beschreibt, wie er dreimal den Mauerfall verpasst hat, porträtiert „Verlierer der Wende“, geht auf Erinnerungs-Suche. Nicht jede dieser „literarischen Reportagen“ bleibt im Gedächtnis.

Sein Ton ist mal leise, mal witzig oder sarkastisch, wie der Reflex auf den ersten Obama-Besuch in Berlin. Für ihn ist der „Graben der Geschichte“ noch lange nicht zu. Die jetzige Ordnung hält er für besser, weil sie „Fragen zulässt“. Nicht aber für gut genug. Man müsse Visionen entwickeln „für einen besseren Staat“, dürfe aber auch nie vergessen, wie es zur Teilung Deutschlands kam – deshalb der Titel des Buches, dem Stoßgebet des Rabbis von Biberach entnommen.

Die Fotoausstellung in Treppenaufgang und im ersten Geschoss ist zweigeteilt. Der ehemalige Westberliner Jan George, Sohn seines Vaters Heinrich, fotografierte die Entstehung und das Fallen der Mauer in eindrucksvollen Bildern, auch das Ding mit dem Loch ist darunter. Einige davon versuchte der Maler Kurt Bartel durch eine flinke Übermaltechnik noch etwas ausdrucksvoller zu machen. Das sieht manchmal aus, als ob er ein Stück Zeitgeschichte übertünchen wolle. Die Kraft der Fotos und die Ästhetik des Pinsels machen diese Schau zu einer streitbaren Sache.

Streitbar auch die ellenlange Rede des Laudators und Stasi-Jägers Hubertus Knabe. „DDR“ (er war ja nicht dabei) ist für den Historiker stets mit Unrecht und Stasi verbunden. Also monierte er die drei Pfosten des Abends: Weder „Mauer“ noch „Fall“ noch „Wende“ dürfe es heißen. Verdunklungsgefahr! Ihm atmen die Fotos „den Geist der Befreiung“. Befreiung? Wie heißt es doch gleich bei Brecht: Was wird aus dem Loch, wenn der Käs’ gefressen ist? Gerold Paul

Gerold PaulD

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